Wer kennt ihn nicht: [Links nur für registrierte Nutzer] von Heinrich Mann. Die Geschichte des Opportunisten Diederich Heßling, wo Heinrich Mann mit eben jenen "Untertanen" abrechnet und zeigt, wie falsch und verlogen er ist.
Das vor über 90 Jahren geschriebene Werk hat nicht von seiner Aktualität verloren, wenn man sich das Verhalten der zeitgenössischen Deutschen ansieht.
Ich selbst bin alles andere als der Typ der Heldin, aber komme mir oft wie ein Alien vor, wenn ich ganz normale "deutsche" Tugenden. Als Zeuge eines Raubüberfalls stehen bleiben und den Täter verscheuchen oder die Polizei rufen? So habe ich es vor einiger Zeit gemacht, die braven Bürger, die wenige Meter vor mir eben jenen Überfall auch mit verfolgt haben müssen, haben gar nichts gemacht. Der Täter könnte ja sauer werden und der brave Untertan beugt sich jeder Autorität - auch wenn sie von Kleinkriminellen ausgeübt wird. Das der Kriminelle wieder kommen und einen Kiez, wo ihn die braven Bürger bei der Arbeit nicht stören, erst einmal ordentlich plündern könnte, so weit denken die Untertanen nicht.
Es sind immer wieder die gleichen Verhaltensmuster:
- wer sich Gewalt und Unrecht ausgesetzt sieht, wird von Verwandten, Freunden und Mitbürgern auf erbärmlichste Weise in Stich gelassen.
- Rückgratlosigkeit als Tugend. In "Die Geschwister Oppermann" sagte der deutsch-jüdische Gymnasiast angesichts eines Disputs über "Hermann den Cherusker" mit seinem Nazi-Lehrer, dass man als Deutscher auch dann die Wahrheit sagen müsse, wenn es unbequem sei. In besagtem Fall also, dass "Hermann" zu Lebzeiten kein Deutscher, sondern Cherusker war und dass sein Gegner Varus ein unbedeutender und unfähiger Bürokrat war. Für Römer und Germanen also nur eine von vielen Schlachten, die sie führten und die erst viel später zum Schlüsselereignis hoch stilisiert wurde. Wobei nicht einmal der Standort des Hermannsdenkmals im Teutoburger Wald stimmt.
Schon der Roman und erst recht die Geschichte wiederlegten aber diesen aufrechten Deutschen. Als guter Deutscher hat man kein Rückgrat und sagt, was die Autoritäten, eben der Nazi-Lehrer, hören wollen. Auch wenn es Blödsinn ist, einen Germanenfürsten zum Urvater der Deutschen zu erklären.
- man meidet bei der Konfronatation mit "Stärkeren" nicht unvertretbare Risiken, sondern jedes Risiko. D. h. man vermeidet nicht nur, einen Räuber anzugreifen, was böse ausgehen könnte, man vermeidet sogar ihn anzusprechen oder eben die Polizei zu rufen. Dieser Punkt ist zentral, weil sich da auch Gestalten, die in einer beherzten Umgebung schnell klein beigeben müssten, zu Gewalt und Aggression ermuntert fühlen
- man beaufsichtigt sich nicht dabei, mit Schwächeren fair umzugehen, sondern man beaufsichtigt sich dabei, ja nicht gegen irgendeine Art von Autorität zu rebellieren. Wer Frau und Kinder schlägt, den deckt die Großfamilie. Wer gegen herrschaftliche Normen verstößt (Kommunist, schwul, lesbisch), der darf sich nur zu oft auf den Ausstoß aus der Familie, die Enterbung und dergleichen freuen.
- "Zu Demonstrationen, zu denen 5000 kommen müssten, kommen 50." Wer auch in Verantwortung für sein Gemeinwesen auf die Straße geht, findet sich oft in einem kleinen Häuflein wieder. Es hat aber auch keinen Sinn, friedlich in einem großen Haufen zu demonstrieren. Von Aktionen der Schüler, an denen 100 000 teilnahmen, erfuhr ich nur vom Hörensagen, weil sie die Medien geflissentlich totschwiegen.
Alldiweil kollektives Handeln unterbleibt, darf sich der kriminelle Mob ungestört austoben. Als in Berlin BVG-Angestellte wegen zunehmender Gewalt in den öffentlichen Verkehrsmitteln Busse und Bahnen für eine Minute aus Protest stehen lassen wollten, kam von der Führung der Spruch: das sei doch nicht nötig. Die Opfer von Gewalt sind selbst schuld, darin sind sich Nazis und Liberale einig.
- "Das deutsche Volk wird revolutionär sein oder es wird nicht sein", sagte Ernst Niekisch. Nun, es hat sich für das Nichtsein entschieden und zwar nicht aus berechtigter Kritik an den Revolutionen anderer Völker, sondern aus über Jahrhunderte anerzogener Duckmäuserei und Untertanengeist.
- "Leiden an Deutschland". Als die Deutschen nach 1871 endlich einen eigenen Staat hatten, zwang der ihnen ein Menschenalter lang entsetzliche Entbehrungen und großes Leid auf, um dann in einer finalen Katastrophe unter zu gehen. Kaum waren die Reste des alten Deutschlands 1990 wieder vereint, jubelte die Wirtschaft: jetzt können wir die Abrissbirne an den Sozialstaat legen!
"Deutschland" bedeutet: oben debilde, machtversessene und kleingeistige Eliten, unten ein von ihnen geknechtetes und schikaniertes Volk. Gut ging es den Deutschen nur, als ihre Herren nicht so fest im Sattel saßen und dem Volk unter äußerem Zwang (Angst vor dem Kommunismus) ein etwas besseres Leben geben mussten. Es ist kein Zufall, dass die kranken Eliten hierzulande mit China und Indien zwei übervölkerte Armenhäuser feiern. Das sind ihre Vorbilder :rolleyes:
Ich denke, die deutsche Untertanenmentalität hat historische Gründe: wir sind das Volk in der Mitte Europas, wo sich die Extreme treffen und zu einem stets faulen Kompromiss vereinen. Wir ducken uns dann unter die Herrschaft, sagen zu allem ja und amen - und rasten irgendwann aus.
So barbarisch etwa der Holocaust war, so zwangsläufig war er auch: die Deutschen haben sich den Größenwahn des Kaiserreichs, das Chaos der Weimarer Republik und das Elend der Weltwirtschaftskrise bieten lassen. Doch zugleich schoben sie innerlich Frust und Hass und als die Nazis kamen und ihnen erzählen, dass die Juden an allem Schuld seien, kam es, wie es kommen musste.
Der maßlos frustrierte und erbitterte, aber noch immer feige und hinterlistige deutsche Untertan hat dann nicht die Villen im Westend, sondern die Synagogen angezündet. Er hat seine Wut auch nicht an den arroganten Briten und Franzosen ausgetobt, die das Deutsche kaputt machen wollten, sondern an Menschen, die dafür nichts können: den Juden halt und den Russen, die eigentlich natürliche Verbündete und als geknechtete Untertanten Leidensgenossen der Deutschen sind.
In "Die Farm der Tiere" karikiert Orwell das Russland der Oktoberrevolution und des Stalinismus. Deutschland war und ist wie eine "Farm der Tiere", wo der Bauer mit Hilfe der Hunde die Revolution der Schweine unterdrückt und die Schafe zufrieden blöken.
Es heißt dann zwar, wenn wir hier so hitzig wären wie etwa die Orientalen, dann hätten wir nicht so viele Werte geschaffen. Mal davon abgesehen, dass auch Orientalen Werte schaffen können, wenn man sie lässt, so fragt sich denn, für wen die Werte geschaffen werden. Für uns selbst? Das war nur in den Jahrzehnten nach '45 der Fall. Davor mussten die Deutschen buckeln und schindern, damit dann alle Werte wieder in Rauch aufgingen oder von anderen Völkern genutzt wurden. So bedienten sich die Siegermächte nach '45 bei der High-Tech etwa im Raketenbau.
Tut mir Leid, aber sowas hat keine Zukunft. Das kann allenfalls als Provinz +049 in irgendeinem Weltdingsdabumsda überleben. Dann vielleicht sogar besser als wenn wir noch weiter als Menschenfarm für "unsere" Eliten dienen müssen.