Woher wir kommen
Von Karlheinz Weißmann
Als 1922 Rudolf Borchardts Übersetzung der „Germania“ des Tacitus erschien, trug sie den Titel „Deutschland“. Das war ungewöhnlich, denn man trennte selbst in völkischen Kreisen zwischen dem älteren Germanien, dem späteren und dem gegenwärtigen Deutschland.
Borchardt griff aber auf eine Redeweise zurück, die sich bis zum Anfang der modernen deutschen Nationalbewegung zurückverfolgen läßt, die im Gefolge von Humanismus und Reformation entstand. Von den „alten Teutschen“ sprachen Hutten und Luther genauso wie die Barock-Patrioten oder Klopstock und noch Arndt, um die lange, über zweitausend Jahre währende Kontinuität zu betonen.
Die Annahme solcher Kontinuität war bis in Borchardts Zeit Allgemeingut, auf der Rechten sowieso, aber auch im Liberalismus und selbst auf der Linken, wo man im Zweifel Friedrich Engels und dessen Lob für die „militärische Demokratie“ der freien germanischen Stämme zitieren konnte. Das NS-Regime hat diese Anschauung überzogen, aber nicht vollständig diskreditiert.
Arminius als „legendärer Anführer freier Bauern im antirömischen Aufstand“
Auch die Geschichtswerke der Nachkriegszeit begannen ihren Durchgang mit einem Abriß der germanischen Frühzeit, und in der letzten Gesamtdarstellung der deutschen Geschichte, die noch 1988 von der Akademie der Wissenschaften der DDR veranlaßt wurde, hieß es: „Die ältere deutsche Geschichte ist ohne Karl den Großen, Otto I. oder Friedrich II. ebensowenig denkbar und darstellbar wie ohne Arminius, den legendären Anführer freier Bauern im antirömischen Aufstand.“
Solche Sätze hätte man in westdeutschen Büchern da schon vergeblich gesucht. Die Bundesrepublik entdeckte neuerdings den Multikulturalismus als Leitnorm und empfand den Verweis auf einen Zusammenhang mit den Germanen als verdächtig, mindestens als peinlich.
Daran änderte auch die Wiedervereinigung nichts. Als 1996 eine Tagung über den Ort der Varusschlacht (natürlich sprach niemand von „Hermannsschlacht“) stattfand, erklärte der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder, daß 9 n. Chr. das „ruhmreiche römische Heer von einer Horde ungebildeter Mitteleuropäer besiegt“ worden sei.
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