Die Bildungspolitik Berlins, deren real existierende Folgen die Bezeichnung als "Schulfront" immer seltener als Metapher erscheinen lassen, ist seit geraumer Zeit um einen weiteren Konflikt reicher.
Und zwar geht es darum, dass die Iniative Pro Reli mit einem Volksbegehren die Einführung des Religionsunterrichts als Wahlpflichtfach durchsetzen will, das gleichberechtigt neben dem Pflichtfach der Staatsethik stehen solle.
Eine Religionsgemeinscht (solange sie Körperschaft des öffentlichen Rechts ist) könnte dann ihren Religionsunterricht anbieten, der von Schülern als Alternative zur rotgrünen Staatsethik besucht werden könnte.
Momentan gilt die verordnete Staatsethik als ein versetzungsrelevantes Fach und Religion kann auf freiwilliger Basis zusätzlich gewählt werden.
Bis zum 21. Januar dieses Jahres muss Pro Reli 170 000 Unterschriften sammeln. (Den gegenwärtigen Stand müsste ich mir erst ergooglen.)
Jedenfalls ist das meiner Meinung nach ein Thema, das sowohl über den Rahmen Berlins hinausgeht, weil die Argumente derjenigen, die für eine veordnete Staatsethik plädieren, (bald) auch auf andere Bundesländer zutreffen werden (Einwanderung, Multireligiösität etc.) - ausserdem geht es um die grundsätzliche Frage, welchen Einfluß der Staat auf die Erziehung von Kindern haben solle und ob es legitim ist, dass neben der rotgrünen Staatsethik kein weiterer Gott bestehen darf.
Meine Wortwahl macht natürlich deutlich, was potentielle Einwände seien könnte: Erstens die Befürchtung, dass sich der Staat zu einem allumfassenden Wertesystem emporschwingt und die geringer werdende Macht der Staatsgläubigen mit dem stärker werdenden Anspruch auf Wertetotalitarismus kompensiert werden soll.
(Vergleichbar mit dem Klerus zu seinen schlechtesten Zeiten, als er seinen abnehmenden Einfluß auf Wirtschafts- und Kriegspolitik durch die Reglementierung dessen, was in Schlafzimmern so vor sich geht, auszugleichen versuchte.)
Zweitens aber auch der Einwand, dass es weniger die Idee einer "Staatsethik" sei, als die konkrete Färbung dieser Ethik: Rotgrün nämlich - weiterhin natürlich Christenfeindlich und potentiell Islamverklärend.
Die Argumente der Gegenseite sind aber auch nicht von der Hand zu weisen:
Gerade in Zeiten der Multireligiösität, der Zuwanderung und dem Verlust des Halts in der einen, objektiven Religion usw. müsse der Staat nunmal eine gemeinsame Ethik propagieren.
Und da selbst die Katholische Kirche und die evangelischen Religionsgemeinschaften bisher keinen gemeinsamen christlichen Werteunterricht zustande gebracht oder gefördert hätten (vielleicht auch, weil zwischen der rotgrünen Staatsethik und derjenigen der evangelischen Religionsgemeinschaften nur wenige Widersprüche bestehen) müsse eben der Staat die gemeinsame Werteausrichtung garantieren.
Relevant hierbei ist natürlich auch der Umgang mit dem Islam. Pro Reli setzt sich ebenfalls für islamischen Religionsunterricht ein, denn es gilt:
[Links nur für registrierte Nutzer]Islamische Religionsgemeinschaft
Körperschaft des öffentlichen Rechts
Die Islamische Religionsgemeinschaft K.d.ö.R. wurde Anfang 1990 in der damaligen DDR gegründet. Sie beschloss in ihrer Gründungsversammlung vom 21.02.1990 ein Statut, in welchem die Ziele und Vorstellungen näher beschrieben wurden. Hauptziel war damals, die Lehren des Islam im Ostteil Berlins und der damaligen DDR zu verbreiten und seine Werte und kulturellen Traditionen zu vermitteln.
Die Einschränkung, die Pro Reli dann benennt, lauten:
[Links nur für registrierte Nutzer]Allerdings muss sich islamischer Religionsunterricht in staatlicher Verantwortung selbstverständlich an die Werte unserer Verfassung und die geltenden Gesetze halten. Intoleranten Ausprägungen des Islam – genauso intoleranten Ausprägungen anderer Religionen – darf daher im Rahmen des staatlichen Religionsunterrichts kein Platz eingeräumt werden.
Das kann natürlich -auch für Christen- zu einem Dilemma werden, wenn die Auswüchse der Juristerey schon so sehr in das Leben eingreifen, dass die propagierte Kompatibilität mit diesen Gesetzen den Religionsunterricht mehr oder minder überflüssig macht und ohnehin nur noch Platz für eine "Bibel in gerechter Sprache" bleibt.
Ich selber stehe also etwas ratlos vor dieser Frage - die Idee einer übergeordneten und wohl auch rotgrün geprägten Staatsethik stößt mich sehr ab. Andererseits wäre die logische Konsequenz der "Gegenseite" ein etablierter Islamunterricht an deutschen Schulen, den man nicht nur aus schlechtmenschlichen Gründen ablehnen kann, sondern schlicht aus der Befürchtung, dass die Gesellschaft dann noch mehr in Einzelteile zerfällt und diese sich verfestigen.
Ein möglicher, wenn natürlich unrealistischer Gegenvorschlag könnte lauten, einen gemeinsamen christlichen und versetzungsrelevanten Religionsunterricht zu etablieren, der auf Bildung statt auf Missionierung setzt, und den Unterricht in anderen Religionsgemeinschaften auf freiwilliger Basis anzubieten.
Fragen über Fragen. ?(
Interview mit Björn Böhning
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In einer repräsentativen Umfrage haben sich 58 Prozent der Befragten für einen gemeinsamen Ethikunterricht als Pflichtfach ausgesprochen, mit Religionsunterricht als freiwilligem Zusatzfach.
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Cicero-Artikel: "Wider die antireligiöse Lobby"
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