Zitat von
Moloch
Die meisten Deutschen sind vereinzelt und damit schutzlos dem ausgeliefert, was ihnen durch Schule und Massenmedien eingetrichtert wird, und deshalb glaube ich nicht, daß sie jemals dazu fähig wären, sich in großer Zahl eine gemeinsame Meinung zu bilden, die dieser Doktrin widerspricht. Ein breites "Umschlagen" der öffentlichen Meinung kann ich mir nur dann vorstellen, wenn die Politik oder die Massenmedien von sich aus anfangen, eine andere Meinung zu verbreiten. Die von Dir angeführten Veränderungen des "Zeitgeistes" 1918 und 1945 wurden durch einen Austausch der Herrschaftsschicht ausgelöst. Vielleicht könnte der "Zeitgeist" auch dadurch geändert werden, daß die die öffentliche Meinung bildenden Massenmedien andere Eigentümer bekämen, die eine andere Meinung verbreiten würden. Aber auch das sehe ich nicht am Horizont.
1955 waren noch sehr konservative Normen und Werte verbreitet, das änderte sich erst in den darauffolgenden Jahrzehnten mit den in Frieden und Wohlstand aufgewachsenen Generationen und hat wenig mit den gerade Herrschenden zu tun.
Du meinst, die Leute seien umerzogen und hätten daher kein Nationalbewusstsein usw. mehr und könnten auch keine konservative Einstellung mehr bekommen weil sie halt blöd sind und so erzogen und so manipuliert usw.
Aber bedenke bitte, wie Kultur zustandekommt, und damit auch bestimmte erwünschte Einstellungen, Handlungen, Tugenden, Werte usw.:
Hier, ich empfehle Dir folgenden Abschnitt von Nietzsche genau durchzulesen, ich habe vieles durch diesen kleinen Abschnitt gelernt und es steckt eine kaum zu überschätzende Erkenntnis über die Welt darin.
es sind da Menschen beieinander und auf sich angewiesen, welche ihre Art durchsetzen wollen, meistens, weil sie sich durchsetzen müssen oder in furchtbarer Weise Gefahr laufen, ausgerottet zu werden. Hier fehlt jene Gunst, jenes Übermaß, jener Schutz, unter denen die Variation begünstigt ist; die Art hat sich als Art nötig, als etwas, das sich gerade vermöge seiner Härte, Gleichförmigkeit, Einfachheit der Form überhaupt durchsetzen und dauerhaft machen kann, im beständigen Kampfe mit den Nachbarn oder mit den aufständischen oder Aufstand drohenden Unterdrückten. Die mannigfaltigste Erfahrung lehrt sie, welchen Eigenschaften vornehmlich sie es verdankt, daß sie, allen Göttern und Menschen zum Trotz, noch da ist, daß sie noch immer obgesiegt hat: diese Eigenschaften nennt sie Tugenden, diese Tugenden allein züchtet sie groß. Sie tut es mit Härte, ja sie will die Härte; jede aristokratische Moral ist unduldsam, in der Erziehung der Jugend, in der Verfügung über die Weiber, in den Ehesitten, im Verhältnisse von alt und jung, in den Strafgesetzen (welche allein die Abartenden ins Auge fassen) – sie rechnet die Unduldsamkeit selbst unter die Tugenden, unter dem Namen »Gerechtigkeit«. Ein Typus mit wenigen, aber sehr starken Zügen, eine Art strenger kriegerischer klug-schweigsamer, geschlossener und verschlossener Menschen (und als solche vom feinsten Gefühle für die Zauber und nuances der Sozietät) wird auf diese Weise über den Wechsel der Geschlechter hinaus festgestellt; der beständige Kampf mit immer gleichen ungünstigen Bedingungen ist, wie gesagt, die Ursache davon, daß ein Typus fest und hart wird. Endlich aber entsteht einmal eine Glückslage, die ungeheure Spannung läßt nach; es gibt vielleicht keine Feinde mehr unter den Nachbarn, und die Mittel zum Leben, selbst zum Genusse des Lebens, sind überreichlich da. Mit einem Schlage reißt das Band und der Zwang der alten Zucht: sie fühlt sich nicht mehr als notwendig, als Dasein-bedingend – wollte sie fortbestehn, so könnte sie es nur als eine Form des Luxus, als archaisierender Geschmack. Die Variation, sei es als Abartung (ins Höhere, Feinere, Seltnere), sei es als Entartung und Monstrosität, ist plötzlich in der größten Fülle und Pracht auf dem Schauplatze, der einzelne wagt einzeln zu sein und sich abzuheben. An diesen Wendepunkten der Geschichte zeigt sich nebeneinander und oft ineinander verwickelt und verstrickt ein herrliches vielfaches urwaldhaftes Heraufwachsen und Emporstreben, eine Art tropisches Tempo im Wetteifer des Wachstums und ein ungeheures Zugrundegehn und Sichzugrunderichten, dank den wild gegeneinander gewendeten, gleichsam explodierenden Egoismen, welche »um Sonne und Licht« miteinander ringen und keine Grenze, keine Zügelung, keine Schonung mehr aus der bisherigen Moral zu entnehmen wissen. Diese Moral selbst war es, welche die Kraft ins Ungeheure aufgehäuft, die den Bogen auf so bedrohliche Weise gespannt hat – jetzt ist, jetzt wird sie »überlebt«.
zum rest morgen