Die Entstehung des Begriffs
Das Wort "Semiten" stammt aus der schon historisch orientierten Theologie des späten 18. Jahrhunderts. Er geht zurück auf Sem, den Namen des ältesten der drei Söhne Noahs (Genesis 9, 18). Die sogenannte "Völkertafel" in der Bibel (Genesis 10) erklärt eine Reihe damals bekannter Stämme und Ethnien als Nachfahren dieser Söhne. Sie teilt sie nach Herkunft und geografischen, aber nicht nach sprachlichen und schon gar nicht nach rassischen Merkmalen ein.
Dennoch übernahm die Sprachwissenschaft den Begriff "Semiten" für eine bestimmte Sprachfamilie, die mit den biblischen Nachkommen Sems nicht identisch war. Kurz darauf übernahm auch die Völkerkunde den Begriff, obwohl die Völker "Sems" nach ihren Kriterien keine geschlossene Gruppe bildeten.
Zugleich entstand der Begriff Arier für eine andere Sprachfamilie und wurde in die allgemeine Terminologie der Geisteswissenschaften eingebürgert. „Semiten“ und „Arier“ wurden einander auch als Volksgruppen gegenüber gestellt.
Verschiedenartigkeit wurde bald verschieden gewertet. „Arier“ und „Semiten“ wurden anderen Volksgruppen gegenüber herausgehoben. Aber alle positiv verstandenen Werte wurden „Ariern“ zugeschrieben, „Semiten“ wurden dagegen nur negativ charakterisiert. „Arier“ galten als zur Herrschaft über die Welt berufene Bevölkerungsgruppe, "Semiten" als ihre zur Unterlegenheit bestimmten Konkurrenten.
Das Wort "antisemitisch" als Gegensatz zu "semitisch" tauchte in Deutschland erstmals um 1860 auf. Damals stellte der jüdische Gelehrte Moritz Steinschneider den französischen Historiker und Philologen Ernest Renan wegen seiner „antisemitischen Vorurteile“ zur Rede. Schon 1865 bürgerte sich der Begriff in ein Staatslexikon ein, um eine dem "typisch" Jüdischen entgegengesetzte Haltung zu kennzeichnen.
Die Wortschöpfung "Antisemitismus" wird meist dem politischen Autor Wilhelm Marr zugeschrieben. Er verwendete sie erstmals 1873 als Alternative zu „Judenhass“, um seine Ablehnung der Juden rassistisch zu begründen. Damit übernahm er indirekt die säkular-rassistischen Ideen von Arthur de Gobineau (s.u.).
Öffentlich eingebürgert wurde das Wort ab 1879. Marr kündete ausgerechnet in der „Allgemeine Zeitung des deutschen Judentums“ ein „antisemitisches Wochenblatt“ an und gründete ein Jahr darauf die „Antisemiten-Liga“: die erste deutsche Gruppe, die sich dem Kampf gegen eine angebliche jüdische Bedrohung verschrieb. Ihr erklärtes Ziel war die Vertreibung der Juden aus Deutschland.
Marrs Buch "Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum" aus demselben Jahr wurde sehr populär. Gruppen völkisch-rassischer Judengegner definierten Juden nun als "Semiten", um die "Judenfrage" als Rassenproblem zu propagieren. Bald wurde dieser Begriff immer häufiger unreflektiert für Juden verwendet und - auch von Juden selber - in andere Kreise und Sprachen übernommen.
Obwohl "Semiten" anfangs nicht nur Juden, sondern auch Araber mit verwandten Sprachen umfasste, wurde der Begriff „Antisemitismus“ ausschließlich zur Kennzeichnung einer strikt antijüdischen Grundhaltung verwendet. Er diente dazu, „die Juden“ als eine besondere „Rasse“ zu brandmarken, um sie ideologisch besser ins Visier nehmen zu können.