Je tiefer der Sonnenstand, desto länger ist der Weg des Sonnenlichtes durch die Atmosphäre und um so stärker ist die Absorption des Lichts. Das kürzerwellige UVB-Licht wird durch die Atmosphäre wesentlich stärker absorbiert als längerwelliges Licht. Deshalb ist die Höhe des Sonnenstandes ein entscheidender Faktor für die Vitamin-D3-Bildung in der Haut.[6] Wird sie bei sonst guten Lichtbedingungen ganztägig so unterschritten, dass kein Vitamin D3 mehr in der Haut gebildet werden kann, spricht man von dem „Vitamin-D-Winter“[28], der eigentlich ein „Vitamin-D-Polarwinter“ ist. Des Weiteren spielt für die Lichtintensität eine Rolle die Bewölkung, das Ozon, die Höhe über dem Meeresspiegel, die Beschaffenheit der Erdoberfläche usw. Ab einer bestimmten Summe UVB-Licht absorbierender Faktoren ist die Lichtintensität zu gering, um noch Vitamin D3 in der Haut bilden zu können. Es existiert ein internetbasierter Rechner, der für einen einzugebenden Ort, Zeit und andere Bedingungen berechnet, wie lange die täglichen Lichtverhältnisse eine Vitamin-D-Bildung in der Haut maximal erwarten lassen.
Gemäß diesem Rechner beginnt ein Vitamin-D-Polarwinter sicher oberhalb des 52. Breitengrades (London, Ruhrgebiet), es kann also nördlich von dieser Grenze im Winter hier ganztägig kein Vitamin D3 mehr in der Haut gebildet werden. Das diesem Rechner zugrundeliegende Modell habe aber noch unsichere Voraussetzungen[28], so dass möglicherweise der Vitamin-D-Winter doch schon weiter südlich beginnen könne, wie amerikanische Forscher publizieren: Sie schreiben, dass während der 4 dunklen Monate oberhalb einer Breite von 42° (Boston, Rom, Barcelona) auch mittags kein nennenswertes Vitamin D3 mehr über die Haut gebildet werden könne, oberhalb des 52. Breitengrades (Edmonton, London, Düsseldorf, Berlin) sistiere die Vitamin-D-Bildung in der Haut während der sechs dunklen Monate weitgehend. Unterhalb des 37. Breitengrades (Los Angeles, Sizilien) sei dagegen eine ausreichende Vitamin-D-Biosynthese sicher über das ganze Jahr möglich.[6][26]
In den gemäßigten Breiten steigt die Vitamin-D-Bildung in der Haut mit der Höhe des Sonnenstandes exponentiell an und ist daher stark jahreszeitabhängig. Bei niedrigem Sonnenstand mit vorwiegendem UVA-Anteil des Sonnenlichtes ist die Grenze zwischen effektiver Vitamin-D-Bildung in der Haut und Sonnenbrand schmal oder eben gar nicht erreichbar.
Vor ungefähr 35.000 Jahren migrierten kleine, wahrscheinlich zunächst dunkelhäutige Gruppen von Homo sapiens aus Afrika langsam Richtung Norden. Je weiter sie im Norden wohnten, desto heller wurde über längere Zeiträume ihre Haut und konnte so das knapper werdende UVB-Licht für die Vitamin-D-Bildung besser nutzen.[8] Die einzige Ausnahme bilden die Inuit, die erst seit relativ kurzer Zeit die Arktis bewohnen und ihren Vitamin-D-Bedarf durch die Nahrung decken (Fettfische).
Evolutionär nicht angepasst sind wir an vergleichsweise sehr moderne Lebensumstände: Weitgehendes Leben in geschlossenen Räumen, unter Glas, bei künstlichem Licht, unter einer UVB-Licht-filternden Smogglocke, konsequente Benutzung von Sonnencreme (die teilweise gezielt UVB-Licht filtert) oder weitgehend vollständige Bedeckung der Haut mit Kleidern unter freiem Himmel. Schon im alten Rom war die Mangelerkrankung Rachitis beschrieben worden; besonders in den Zeiten der Industrialisierung im 18., 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war sie insbesondere in den Industriestädten Europas und Nordamerikas weitverbreitet.[29] In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannte man den Zusammenhang zwischen Rachitis, Sonnenlicht und Vitamin D3.
Auch heute noch ist die Vitamin-D-Versorgung in vielen Ländern nicht optimal, wie epidemiologische Untersuchungen ergaben.[26] Je nach Risikogruppe kann der Mangel, auch in Deutschland, beträchtlich sein: So wurde in der EsKiMo-Studie (Teilstudie der KIGGS-Studie des Robert-Koch-Institutes) bei 6- bis 11-jährigen Kindern, für die aufgrund ihres Größenwachstums Vitamin D (und Calcium) besonders wichtig sind, ein Defizit an zugeführtem Vitamin D ermittelt"[21]: Die durchschnittliche Aufnahme für Kinder in Deutschland lag bei 1,5 µg Vitamin D pro Tag, während die deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) 5 µg in ihren Leitlinien empfiehlt (siehe Kapitel Vitamin D3 in Nahrungsmitteln). Eine nicht-optimale Vitamin-D-Versorgung spiegelt sich auch in den in KIGGS erfassten Serumwerten von 25(OH)Vitamin D3 wider.."[30]
Wenn Menschen mit dunkler Haut heute in höheren Breiten leben, vergrößert sich ihr Risiko für einen Vitamin-D-Mangel zusätzlich. Besonders während der Schwangerschaft kann Vitamin-D-Mangel entstehen. Die Supplementation von Vitamin D in der Schwangerschaft kann unzureichend sein. Defizite fanden Lisa Bodnar und Kollegen in einer Studie bei 80 Prozent der Afroamerikanerinnen und knapp der Hälfte der weißen US-amerikanischen Frauen; und dies, obwohl neun von zehn der insgesamt 400 Schwangeren eine Vitamin-Supplementation betrieben.[31]