Zitat Zitat von Süddeutsche Zeitung
Es gibt zehn Regeln dafür, wie man Rechtsextremisten zu mehr Zulauf verhilft. Die deutsche Politik hat sich in den vergangenen Wochen an fast alle gehalten.

Erste Regel: Man muss möglichst oft und laut ein Verbot der NPD fordern, möglichst heftig über die Aussichten für einen neuen Parteiverbots-Antrag beim Bundesverfassungsgericht streiten und so den Eindruck erwecken, die Demokratie müsse die Auseinandersetzung mit braunem Gedankengut scheuen.

Zweite Regel: Man muss vermeiden, sich um den Zustand der demokratischen Kultur in den Schulen, Kommunen, auf der Straße, in der Gesellschaft zu kümmern. Nur die Parlamente zählen; Deutschland ist schließlich eine Parteiendemokratie.

Anlass zu Besorgnis besteht daher nur an Wahltagen, des weiteren dann, wenn sich Neonazis in Landtagen besonders aufführen.

Solange die Rechtsextremisten aber dort nicht vertreten sind, weil sich ihre Parteien die Stimmen gegenseitig wegnehmen und sie daher unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben, sind sie kein öffentliches Thema. Sie gelten als parteipolitisches, nicht als gesellschaftspolitisches Phänomen.

Dritte Regel: Man sollte einen "Aufstand der Anständigen" erst laut ausrufen, dann einige Zeit ein großes Gewese darum machen, ihn aber dann allmählich absterben lassen. Zu diesem Zweck sind (wie im Jahr 2000 geschehen) erst einmal ordentliche finanzielle Mittel für Projekte für Toleranz und Demokratie und zur Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit bereitzustellen, diese dann aber alsbald zu reduzieren und zu streichen.

Wenn die Zahlen der ausländerfeindlichen Anschläge und die Umfrage-Werte für NPD und DVU sinken, sagt man: "Solche Programme brauchen wir nicht mehr." Wenn die Zahlen steigen, ist zu sagen: "Solche Programme sind erfolglos."

Vierte Regel: Die Schuld an Wahlerfolgen der NPD ist dem parteipolitischen Gegner in die Schuhe zu schieben. In diesem Zusammenhang muss von "Weimarer Zuständen" gesprochen werden. CSU-Chef Edmund Stoiber hat diese Regel am politischen Aschermittwoch in Passau besonders genau beachtet: Rot-Grün, den Achtundsechzigern, der antiautoritären Erziehung, dem mangelnden Patriotismus, vor allem aber der erfolglosen Arbeitsmarktpolitik des Bundeskanzlers seien die Erfolge der NPD anzulasten.

Stoibers wiederholte Behauptung, die Weimarer Republik sei an der Massenarbeitslosigkeit gescheitert, ist zwar historisch falsch: die scheiterte nämlich am Versailler Vertrag und an der Ablehnung des parlamentarischen Systems auch durch die bürgerlichen Parteien, also daran, dass sie eine Demokratie ohne Demokraten war.

Die Erinnerung an Weimar könnte aber für Stoiber selbst heilsam sein, weil sie lehrt, wie wichtig der demokratische Konsens ist und dass man ihn nicht um eines momentanen Vorteils wegen aufs Spiel setzen darf.

Fünfte Regel: In der Diskussion über den Nahen Osten sollte man die Politik der Israelis gegenüber den Palästinensern mit der Politik der Nazis gegenüber den Juden vergleichen, aber in diesem Zusammenhang den Vorwurf des Antisemitismus strikt von sich weisen.

Sechste Regel: Im alltäglichen Sprachgebrauch ist möglichst oft der Begriff "Holocaust" zu verwenden. Tierschützer sollten vom "Pelztier-Holocaust" und vom "Hühner-Holocaust" reden.

So gewöhnt man sich daran, dass die Nazi-Barbarei mit anderen Schandtaten gleichgesetzt wird. Dann ist auch der Begriff "Bomben-Holocaust" nicht mehr so schlimm und das Label der NPD für ihre Demonstrationen am 8.Mai erheischt Zustimmung: "Schuss mit dem Schuld-Kult".

Siebte Regel: Schuldvorwürfe abwehren und abwiegeln, auch wenn sie gar nicht erhoben worden sind. Nach einem Neonazi-Anschlag ist zu sagen, dass nicht der ganze Ort und die ganze Jugend stigmatisiert werden dürften - auch wenn niemand das tut.

Und nach NPD-Wahlerfolgen ist zu betonen, dass man nun nicht ein ganzes Bundesland diskriminieren dürfe. Niemand tut das, aber der Kanzler hat soeben in Sachsen vor solcher Diskriminierung gewarnt.

Achte Regel: Tabus behaupten, wo es sie nicht gibt; es müsse also nun endlich über die Opfer des Bombenkriegs geredet werden.

Neunte Regel: Bei Sozialreformen mit Unterstellungen arbeiten, den davon betroffenen Menschen möglichst viel Misstrauen entgegenbringen, ihnen Bequemlichkeit, Faulheit und Ausnutzung der sozialen Systeme vorwerfen.

Zehnte Regel: Man rede die Situation in Deutschland möglichst schlecht und überlasse Visionen den Rechtsextremisten. Die entwickeln ein absurdes, aber für nicht wenige attraktives System mit einer autarken deutschen, von der Globalisierung abgekoppelten Wirtschaft, die "Fremdarbeiter" zurückführt und so wieder Arbeit für Deutsche schafft.

So saugen die Rechtsextremisten die Angst vor dem aggressiven Kapitalismus auf. Wenn selbst ein SPD-Generalsekretär bei der sehr berechtigten Kritik an der Deutschen Bank von "undeutschem" Verhalten spricht, macht er bei diesem Spiel mit - und die Neonazis freuen sich.

Die Demokratie braucht keine Verbotsanträge, sondern Visionen für die Zukunft der Gesellschaft, die die Menschen begeistern. Das wäre ein Thema für den politischen Aschermittwoch gewesen.
Habt ihr euch auch schön brav an alle Regeln gehalten in den letzten Wochen? Den Linken dürft es ja nicht schwer gefallen sein