Hier geht es mir darum, Apekte des Totalitarismus zu diskutieren und Missverständnisse auszuräumen. Weil beim Totalitarismus die "Erscheinung" - zum Beispiel das Dritte Reich - immer für das "Wesen" der Sache genommen wird. Während es in Wirklichkeit eine gigantische Kluft zwischen "Erscheinung" und "Wesen" gibt.
Aspekte des Totalitarismus sind:
Die Ideologie
"Eine Ideologie ist für Totalitarismus unverzichtbar" schreibt Kiesewetter sinngemäß in "Von Hegel zu Hitler". Aber mit der Ideologie beginnt das erste und größte Missverständnis beim Totalitarismus. Die getäuschten Anhänger totalitärer Systeme und ihre erbitterten Gegner sehen in der Ideologie gleichermaßen die "Blaupause" für ein rücksichtslos mit aller verfügbaren Macht und Gewalt durzusetzendes Modell von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Das totalitäre System verstärkt diesen Eindruck noch, indem es alle marginalisiert oder verfolgt, die sich seiner Ideologie wiedersetzen. So glauben schließlich Freund und Feind, dass es um die Ideologie gehe. Den Sozialismus. Den Faschismus. Die Freiheit.
Dabei spielt die Ideologie an sich keine Rolle
Sie ist keine Vorlage für ein Gesellschaftskonzept, sondern dient der Durchsetzung konkreter Interessen der Nutznießer des Totalitarismus und der Bemäntelung der wahren Herrschaftsmechanismen.
Die Nazis waren Antisemiten, weil sie auf die Güter und Positionen der Juden scharf waren. Die DDR frönte dem Enteignungswahn, weil die SED-Kader allen Bestiz unter ihre Kontrolle bringen wollten. Und was würde von Drittem Reich und DDR gleichermaßen übrig bleiben, wenn man die Staatsideologie entfernen würde? Richtig, die Herrschaft korrupter und machtgeiler Klüngel - mal auf ganz großer verbrecherischer Stufe (Nazis), bei der DDR dagegen eher "politische Kleinkriminalität".
Unser heutiges System ist da IMHO nicht besser, allenfalls ehrlicher. Ideologien in der Art von Sozialismus oder Faschismus werden zwar abgekanzelt, dafür haben wir ein "Diskursgebräu" aus Sozialdarwinismus und Hedonismus. Dieser heute "herrschende Diskurs" will im Gegensatz zu seinen Vorgängern keine konkrete Blaupause für ein Gesellschaftsideal sein. Er hat nicht einmal einen richtigen Namen. Auf andere Weise wirkt er aber ebenso wie die totalitären Diskurse alter und veralteter Schule.
Der Staat
Totalitäre Systeme werden gerne als "totalitärer Staat" bezeichnet. Womir wir beim nächsten Missverständnis sind. Der Staat ist ein wichtiges, aber nicht das einzige Mittel totalitärer Herrschaft. Er ist aber nicht das totalitäre Sysem selbst. Totalitarismus zeichent sich gerade dadurch aus, dass er alle Lebensbereiche durchdringt. Also auch das Private und Nicht-Staatliche.
Wenn nur Staatsangestellte Schergen totalitärer Herrschaft wären, müsste man um die einen Bogen machen oder vor ihnen katzbuckeln, hätte aber sonst seine Ruhe. Fehlanzeige! Im totalitären System ist auch das Private politisch Familie und Verein sind gleichermaßen vom Totalitarismus durchdrungen, wie etwa staatliche und öffentliche Instanzen. Es mag sogar sein, dass gesellschaftliche Instanzen beim Weitertragen objektiv totalitärer Diskurse eifriger sind als der Staat.
Repression und Gewalt
Gern werden Repression und Gewalt mit Totalitarismus gleich gesetzt. Sie sind aber wie der Staat eher Mittel des Totalitarismus als dieser selbst. Eine Reise durch eine Diktatur hat mich sogar davon überzeugt, dass auch ein überbordender Staat, der vor Gewalt und Unterdrückung nicht zurückschreckt, nicht automatisch totalitär ist. Im Gegenteil: ein repressiver Staat mag sogar daran scheitern, einen Totalitarismus zu errichten. Alle halten zwar die Klappe und durcken sich, aber haben noch immer nicht gleichgeschaltete Refugien. Man sagt zwar nichts gegen das System und seine Herrscher, man sagt aber auch nichts Positives über sie. Jubel wird vom Staat inszeniert und jeder weiß, dass er nicht echt ist.
Dauerhaftigkeit
Die Nazis prahlten damit, dass ihr Reich tausend Jahre dauern würde. Die 1000 Jahre waren schon nach 12 Jahren um. Über die stalinistischen Tyranneien schrieb zu Zeiten des Kalten Krieges jemand verzweifelt, dass die Völker da unter das Joch von Tyranneien kämen, die sie nicht wieder loswerden würden. Nun ja, die Sowjetunion bestand 74 Jahre, die DDR gab es 40 Jahre und Rotchina machte es als sozialistischer Staat auch nicht viel länger.
Verglichen mit den Jahrhunderte oder gar Jahrtausende währenden Gemeinwesen früherer Epochen sind gerade die "harten", etatistischen und repressiven Totalitarismen erstaunlich kurzlebig. Wer ihren Schergen entkommt, hat gute Chancen, sie doch noch zu überleben. Was ein weiteres Indiz dafür ist, dass ihre Ideologien keine Vorlagen für auf Dauer angelegte Gemeinwesen sind.
Ein konkretes totalitäres System - Drittes Reich, Sowjetunion - mag kurzlebig sein, totalitäre Struktuen an sich sind es nicht! "Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das einst kroch!" hieß es nach dem Zusammenbruch des Nazi-Reiches. Weil die "Erscheinung" zugrunde geht, aber das Wesen bleibt. Zum Wesen des Totalitarismus gehören
Die Herrschaft verbrecherischer Cliquen
Hitler und seine Paladine, Honecker und die WG von Wandlitz, "Saddam und seine Bande", Skulls & Bones und die [Links nur für registrierte Nutzer] - immer sind da an der Spitze und den unteren Rängen, im Licht der Öffentlichkeit und im Verborgenen irgendwelche Kleingruppen, Klüngel, Netzwerke und Banden am Werk. Manchmal haben sie einen alles beherrschenden Bandenchef - einen "Führer" oder "Großen Vorsitzenden" -, aber der ist nicht zwingend notwendig. Er kann sogar lästig werden, wenn er wie Stalin beim Morden nicht einmal vor seinen Spießgesellen Halt macht. Wer wirklich im totalitärem System herrscht und wem seine Herrschaft nützt, sorgt stets für Kopfzerbrechen.
Zwiedenk und Entenquak
Bei dem Versuch, die totalitären Diskurse unserer Zeit zu verstehen und ihnen z. T. sogar gerecht zu werden, habe ich mir nur Kopfschmerzen und Frustrationen eingehandelt. Egal ob Christentum oder Liberalismus, Nationalismus oder Sozialismus durch den Fleischwolf des Totalitarismus gedreht werden - es kommt immer Unsinn heraus. Besondere Merkmale:
- Den Normen totalitärer Ideoligien kann kein Mensch gerecht werden. So fordern Liberale, man solle aus eigener Kraft sein Leben meistern und sie fördern zugleich ein System, in dem das den meisten Menschen nicht möglich ist. Im Christentum ist man durch die Erbsünde schuldig, im Liberalismus ist man schuldig, weil man stets arbeitslos und pleite ist.
- Totalitäre Diskurse ergeben letztendlich keinen Sinn. Es ist eine Qual, "Mein Kampf" zu lesen und ebenso sollen zu DDR-Zeiten die Leitartikel des Neuen Deutschlands eine Qual gewesen sein. Bei "Testing Monetarism" habe ich nichts verstanden, weil es da nichts zu verstehen gibt Wer Kader eines totalitären Systems sein will, sollte tunlichst vorher sein Gehirn entsorgen. Denken stört nur
Damit sind wir bei
Ja-Sagern und Wendehälsen
Der opportunistische Intellektuelle und der hinterlistige Spießer sind die Quellen, aus denen jeder Totalitarismus schöpft. "Überzeugungstäter" spielen nicht die Rolle, wie Apologeten und Gegner totalitärer Systeme gleichermaßen glauben. Irgendwann bleibt entweder die Überzeugung auf der Strecke oder man wendet sich vom System ab.
Angesichts der Unbeständigkeit einer konkreten totalitären Formation sind für seine Kader zwei Dinge wichtig:
1. So lange das System besteht, es unermüdlich schön zu reden und zu rechtfertigen.
2. Wenn das System zusammengebrochen ist, die damals vertretene Ideologie sofort vergessen und eifrig die neue Ordnung rechtfertigen. So wurden aus "überzeugten" Nazis der NSDAP und überzeugten Sozialisten der SED mit gleicher Schnelligkeit "überzeugte" Demokraten der BRD
So wie sie in ihrer Erscheinungsform als Nazis und Stalinisten Drittes Reich und DDR gegen die Wand gefahren haben, werden die Wendehälse auch die BRD kaputt kriegen :rolleyes:
Der uferlosen Menschenverachtung der Nazis und dem Unfug der DDR mit Stilblüten wie "Jetzt, wo wir mit der Mauer unser Volk eingesperrt haben können wir endlich den Sozialismus aufbauen" folgt ein weichgespülter Sozialdarwinismus und das Abfeiern der Globalisierung. Bis auch da Ende im Gelände ist und unsere stets willigen Neubekehrten das Neugroßdeutsche Reich, das Kalifat Absurdistan oder den zehnten Kreuzzug rechtfertigen.
Denn
Es gibt keine Alternative
Das "Andere" als Gegenpol, Wahlmöglichkeit oder positive Kraft ist in totalitären Diskursen völlig ausgeblendet. Ein totalitäres System ist Zeit seines Bestehens immer alternativlos und erlaubt den von ihnen Unterjochten auf keiner Stufe, sich für etwas anderes zu entscheiden. Der Ostblock musste seine Opfer noch einmauern, um ihnen die Wahl für den Westen fast unmöglich zu machen. Der siegreiche Westen hat dafür gesorgt, dass es auf dem ganzen Planeten keine Alternative zu ihm gibt.
Das Andere gibt es nur als
Feindbild
Die Stalinisten wollten dem Menschen glauben machen, sie seien die Zukunft und der Kapitalismus werde untergehen. Die Kapitalismus-Apologeten unserer Tage reagieren mit nicht mehr zu überbietender Borniertheit auf sozialistische Bestrebungen in Lateinamerika. Das Andere ist stets das Schlechte, das jüdischbolschewistischliberalkapitalistische Böse. Die Verblendung totatlitärer Diskurse zeigt sich darin, dass Andere nie mit zu denken. Dabei erzeugen sie es nur zu oft selbst in Gestalt diverser Anti-Bewegungen: einst Anikommunismus und Antifaschismus, heute Sozialismus in Lateinamrika.
Ideologie des Kampfes
Die Nazis vertraten offen einen brutalen und menschenverachtenden Sozialdarwinismus. Der Film "Napola - eine Elite für den Führer" legt nahe, dass sie sogar bei der Ausbildung ihrer Kader Todesfälle bewusst in Kauf nahmen. Auch in den eigenen Reihen sollten die Schwachen aussortiert werden.
Frage mal einen Liberalen, wie es mit einem Leben ohne materielle Not und unnützen Zwang aussieht und dir werden bei der Antwort die Augen übergehen. Weil es das auch im Liberalismus nicht gibt X( ! Der liberale Sozialdarwinismus mag feinsinnger sein als grobschlächtige braune Variante - es ist aber auch eine Ideologie des Kampfes. Sogar der Sozialismus verherrlicht als "Klassenkampf" den Kampf, anstatt seinen Sinn zu hinterfragen.
Keine äußeren Feinde
Der Totalitarismus braucht Feindbilder und den Kampf, aber er braucht eines nicht: ernsthafte und gleichwertige äußere Feinde! Schließlich währte das Tausendjährige Reich vor allem deshalb so kurz, weil die Nazi-Führung ihre Feinde nicht ernst genommen und fälschlicherweise als minderwertig betrachtet hat. Der Stalinismus ging daran zugrunde, dass er den Kapitalismus als das ältere und schlechtere System angesehen hat, alldiweil viele im Osten den Lebensstil des Westens ihrer eigenen Tristesse vorzogen. Der Kapitalismus widerum hat aus diesen Fehlern gelernt - er hat seine Feinde eliminiert und dafür gesorgt, dass es nach 1990 auf der Welt fast ausschließlich kapitalistische Länder gibt.
Witzfiguren mit langen Bärten dienen derweil als Feindbild und für den gehobenen Anspruch gibt es noch den Sozialismus in Lateinamerika zum Aufregen. Nichts, was eine Bedrohung für das System ist.
Bürokratie
Kein totalitäres System ohne Aktenberge, unsinnige Gesetze, Heerscharen von Beamten und Sachbearbeitern? Bei den etatistischen Varianten nervt die staatliche Bürokratie, aber es geht ebenso mit Abmahn-Anwälten. In der DDR enteignete man Kleinunternehmen, in der BRD laufen sie Gerüchten zufolge Gefahr, in Rechtsstreitigkeitigkeiten mit nicht mehr zu tragenden Kosten verwickelt zu werden. Für alles gibt es Gesetze und Vorschriften und immer wieder sind Gebühren zu entrichten. Die in der - staatlichen und privatwirtschaftlichen - Bürokratie Tätigen sind eine wichtige Basis des Totalitarismus und sie selbst ein wichtiges Herrschaftsmittel.
Angst!
Angst vor dem Zorn Gottes
Angst vor der Gestapo
Angst vor der Stasi
Angst vor der Kündigung
Hegel soll die Angst als wichtige Triebkraft gesellschaftlicher Prozesse angesehen haben und im Totalitarismus ist sie das. Weil Angst dumm macht. Weil Angst lähmt. Weil Angst manipulierbar macht.
Hoffnungslosigkeit
"Ein anderes System wird es nicht geben!" Das ist die zentrale Maxime aller Protagonisten totalitärer Diskurse. Sie wird ergänzt durch: "Auch nach einem Umsturz gibt es keine Verbesserung."
Verzweiflung
Nun sind in der Tat viele Umstürze keine Verbesserungen gewesen. Manchmal sogar drastische Verschlechterungen. Aber die Protagonisten des Totalitarismus treiben die Menschen so lange zur Verzweiflung, bis sie doch zum x-ten Mal den Umsturz wagen. Vielleicht hat man bei den 198776 Umstürzen vorher in der Menschheitsgeschichte immer etwas falsch gemacht. Man hätte die Wendehälse nicht in die neue Ordnung integrieren, sondern aufhängen sollen :rolleyes: Man hätte das Konzept von "neuer Ordnung" grundlegend überdenken sollen. Man hätte das Heil nicht in einem neuen System, sondern keinem System mehr suchen sollen. Vielleicht war die Menschheit bei den 198776 vorherigen Versuchen noch nicht weit genug entwickelt und der 198777. Versuch bringt den Durchbruch.
Oder vielleicht begehren die Menschen irgendwann nur auf, weil sie ohne Hoffnung auf Besseres ihre bisherigen Peiniger tot sehen wollen Denn irgendwann kommt für alle Verbrecher der [Links nur für registrierte Nutzer]