Von Michael Thumann | © DIE ZEIT, 10.06.2009 Nr. 25
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Als Leyla im Sommer 1993 ihr Heimatdorf verlassen musste, dachte sie, sie hätte alles verloren. Doch war das erst der Anfang. Hinter Leyla und ihrer Familie brannte das kleine Haus nieder. Die Granatapfelbäume, die Weinreben, die Ziegen im Stall, der Melkschuppen – davon blieb nur die Asche. Die Gendarmerie trieb die kurdische Familie aus dem Dorf. Leylas Ehemann war gerade 22 Jahre alt geworden. Sie schlugen ihn und schleiften ihn fort, unten an den Fluss. Von dort war Schreien zu hören, Schüsse, wieder Schreien. Nach einer Stunde wagte sich Leyla mit einer Tante an den Fluss. Fünf Männer lagen da, zwei verbrannt, zwei von Kugeln durchlöchert und einer, dem das Hirn aus dem Schädel floss und der Magen aus dem aufgerissenen Bauch hing.
Leyla drückte ihrem Mann die Eingeweide zurück in den Leib, so gut sie konnte. Sie schleppte ihren Mann ins Dorf. Und hatte irgendwie noch Glück, sagt sie heute. Sie durfte ihren Mann begraben.
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Der türkischen Zeitung Taraf sagte Aygan, dass vier Fünftel der unaufgeklärten Morde im türkischen Südosten auf das Konto von JITEM gingen. Wer verdächtigt wurde, mit der PKK zusammenzuarbeiten, den besuchte das Kommando. »Unser Job: Die Leute mitnehmen, verhören, exekutieren, die Leichen wegschaffen, irgendwie, verbrennen oder versenken.« Aygan selbst war bei dreißig Hinrichtungen dabei.
JITEM erledigte die Drecksarbeit für die Armee, sagt er. Mal waren Bauern die Opfer, mal ein auffälliges Liebespärchen, mal Kinder. Schätzungsweise 15000 Menschen. »Die Operationen von JITEM endeten mit dem Tod, ausnahmslos.«
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Einschläge haben Wände und Decke durchlöchert. Alte Graffiti an der Wand erzählen vom Hass der Soldaten auf ihre Opfer – neuere von der Wut der kurdischen Bewohner auf die Soldaten. In der Ecke steht der zerbrochene Ofen mit einer Öffnung, die für Pide und Fleischpizza viel zu groß ist. Türkische Spezialeinsatzkräfte hatten Sinan 1993 vertrieben und hier eine Hinrichtungsstätte aufgebaut. Die Schüsse der automatischen Waffen waren bis in ein Nachbardorf zu hören.
Ganz in der Nähe, auf dem Gelände einer Kiesfabrik, befanden sich Brunnen. Die Abdeckplatten sind heute aufgebrochen. Die Ermittler fanden Reste von Schädeln, Ellenbogen, Rippen, Haare. Die Säure hatte nicht alle Spuren getilgt....