"Das Schweigen der Muslime
Warum das Massaker in Darfur in der arabischen Welt keine Rolle spielt
von Abu Khawla
Die Katastrophe, die sich dieser Tage in Darfur ereignet, wird von vielen für die größte humanitäre Krise der Welt gehalten. Alle glaubwürdigen Berichte geben an, daß fast eine Viertel Million Menschen bereits verloren sind, und eine weitere Million wird in den kommenden Monaten folgen, wenn nicht schnell etwas unternommen wird. UN-Generalsekretär Kofi Annan beschrieb die Angelegenheit als ein kollektives Massaker an Zivilisten.
Dem steht das gellende Schweigen der arabischen Welt gegenüber. Dieses "Rätsel" hat Kamel Labidi in einem Meinungsbeitrag für das "Wall Street Journal" damit erklärt, daß die Stimmen der arabischen Menschenrechtler wenig Einfluß hätten, weil ihnen der Zugang zu offiziellen Medien fehle. Tatsache ist aber, daß die offiziellen Medien heute für Araber überhaupt keine Rolle spielen, weil es jetzt unabhängige Fernsehkanäle und das Internet gibt.
Man kann das arabische Schweigen nur erklären, wenn man die beiden Fundamentalismen versteht - den Islamismus und den Panarabismus -, die heute ihr Unheil in dieser Region anrichten. Wer sich verläßliche Informationen beschaffen will, hält sich an Al-Dschasira und Al-Arabia, beides Kommunikationswege, die bis jetzt völlig von Fundamentalisten beherrscht werden.
Warum haben diese fundamentalistischen Kräfte versucht, die Wahrheit über das Massaker von Darfur klein zu halten? Zunächst einmal muß man festhalten, daß die Angelegenheit überhaupt niemanden in der moslemischen Welt interessiert hätte, wenn Nichtmoslems die Opfer gewesen wären.
Ungläubige zu bekämpfen, bis sie entweder zum Islam konvertieren oder sich den Moslems als "Dhimmis", als Bürger zweiter Klasse, unterordnen und die "Dschesia", eine Kopfsteuer, bezahlen, wird von vielen Islamisten noch immer als religiöse Pflicht betrachtet. Und dieser Status des "Dhimmitums" ist den "Völkern des Buchs" vorbehalten, also Juden und Christen. Animisten, Hindus und andere "Häretiker" werden als "Najus" (schmutzig) betrachtet, also zur Aussonderung vorgesehen. Die Animisten im Südsudan, aber auch die Bahai und Ismaeliten in anderen moslemischen Ländern erfahren jetzt, was das heißt.
Aber Darfur ist etwas anderes, denn hier handelt es sich um ein Massaker an Moslems, auch wenn es nichtarabische Moslems sind. Theoretisch dürfen Moslems keine anderen Moslems ermorden. Die vielzitierte Bezugsquelle hier ist ein Koranvers, in dem geschrieben steht, daß "nur Glaube und Frömmigkeit unterschieden den Araber und den "Ajami" (Nichtaraber)". Das erklärt zum großen Teil die historische Animosität zwischen Islamismus und Panarabismus. Während sich letzterer auf die arabische Nation bezieht, sprechen Islamisten von der "Umma", der Gemeinschaft der Gläubigen, und betrachten den arabischen Nationalismus als einen Fall von "Fitna", einen Bruderzwist.
Aber in der Praxis sieht die Geschichte sehr anders aus. Die Sklaverei gehört zu den grausamsten Mitteln, mit denen sich Araber nichtarabische Moslems unterworfen haben, vor allem solche afrikanischer Herkunft. Das war bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Saudi-Arabien weit verbreitet, bis sie auf internationalen Druck hin abgeschafft wurde.
Trotzdem gibt es keinen Grund, anzunehmen, der Islamismus sei für Darfur verantwortlich. Man muß sowohl Al-Dschasira als auch Al-Arabia zugute halten, daß sie schließlich doch über das Massaker berichtet haben, vor allem nach Kofi Annans deutlichen Worten dazu, und es heißt, Hassan Al-Tourabi sei aus Protest in Hungerstreik getreten. Außerdem haben gebildete Araber Zugang zu internationalen Medien wie dem arabischen Service der BBC und Nachrichtenagenturen. Also Araber wußten, was vorgeht, aber haben nicht reagiert. Warum nicht?
Der Hauptschuldige in diesem speziellen Fall scheint der Panarabismus zu sein, eine faschistische Bewegung, die vor einem halben Jahrhundert durch Militärschläge an die Macht kam. Der Nasserismus hat Ägypten, den Sudan, Algerien, den Nordjemen und Libyen übernommen, während sich der Baathismus um Irak und Syrien kümmerte. In all diesen Ländern wurden dadurch frühere reformistische, modernistische Entwicklungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgewürgt. Durch Einschüchterung und Terror wurden Liberale zum Schweigen gebracht oder vertrieben.
Trotz der vernichtenden militärischen Niederlage des Panarabismus 1967, trotz seiner Unfähigkeit, die gegebenen ökonomischen und sozialen Verprechen zu erfüllen, ist die sogenannte arabische Straße immer noch anfällig für seine Propaganda. In vielen Fällen wird sie von arabischen Regierungen in der Hoffnung unterstützt, antiwestliche Hetze könnte die Aufmerksamkeit von ihrem eigenen Versagen ablenken.
Der einzige Weg, diese Propaganda zu konterkarieren, ist die Mobilisierung der liberalen arabischen Bewegung. Das ist bisher nicht sehr erfolgreich gewesen, vor allem weil es von westlichen Regierungen kaum unterstützt wurde. Deshalb werden die arabischen Massen weiterhin Geiseln von arabistischen und islamistischen Scharlatanen sein, und weitere Darfurs könnten folgen."
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Auch die europäische Welt scheint es kaum zu kümmern was in Darfur geschieht - speziell wenn man diese Tragödie mit der medienwirksamen Tsunami-Hype vergleicht.