Der Knöllchenverteiler
Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, greift immer wieder aggressiv in politische Debatten ein
Doris Neujahr
Es stieß merkwürdig auf, daß Kramer sich mit dem ehemaligen Chef des Zentrums für Türkeistudien in Essen, Faruk Şen, solidarisierte, als dieser die Situation der Türken in Europa mit der Lage der Juden im "Dritten Reich" verglich. Der Unsinn dieser Aussage liegt auf der Hand, die implizite Verharmlosung jüdischen Leidens ebenfalls. Auf der Suche nach einer rationalen Erklärung für Kramers Verhalten sah sich Patrick Bahners in der FAZ "darauf verwiesen, daß Şen als Kulturbotschafter jener türkischen Republik wirkt, mit der Israel im stillen verbündet ist".
Diese Erklärung klingt nur vordergründig überzeugend. Immerhin hat Faruk Şen indirekt die Singularitätsthese in Frage gestellt, die die entscheidende Legitimationsquelle für die moralische und politische Macht ist, die der Zentralrat und Kramer ausüben. Deshalb können sie es sich gar nicht leisten, sie mit anderen zu teilen, nicht einmal vorübergehend und aus taktischen Gründen. Eine Büchse der Pandora würde sich öffnen.
Der Grund für Kramers riskante Nachsicht ist ein anderer. In Faruk Şens unsinniger Äußerung kam die Instrumentalisierung des Holocaust zu politischen Zweck so klar zum Vorschein, daß sie geeignet war, eine Debatte auszulösen, die auch vor der Rolle des Zentralrats nicht haltgemacht hätte. Kramer hat sie mit seiner Unterstützung für Faruk Şen erfolgreich abgeblockt.
Er wolle gar nicht wissen, "wie schlimm es in Deutschland aussähe, wenn die Leugnung des Holocaust nicht strafbar wäre", hat Kramer zur Forderung von Ex-Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem nach einer Reform des Paragraphen 130 Strafgesetzbuch geäußert. - Nun, Kramers Macht würde geringer, das Land dafür ein wenig freier und heller. Was ist daran schlimm?
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