.................All dies bedeutet aber keineswegs, daß ich die moderne
Kunstmafia nicht durchaus schätze. Im Gegenteil, ich hege Achtung für die Sieger. Man muß auch verlieren können. Die Jungs haben schließlich Übung in ihrem Handwerk seit fast 100 Jahren.
Es ist ihnen gelungen, im Bewußtsein ihrer Opfer die Lächerlichkeit zum Mythos und den himmelschreienden Unsinn zur letzten Weisheit umzufunktionieren. Darüber hinaus führen sie ihren Kreuzzug mit wirtschaftsorientiertem Know-how. Mit psychologischer Finesse haben sie das Kind aus dem Märchen von Hans Christian Andersen, das seinerzeit leichtsinnig »Der Kaiser ist ja nackt« gerufen hat, dazu gebracht, sich für seine Jugendsünde öffentlich zu entschuldigen. Andersens Kind ist heutzutage hingerissen von
Joseph Beuys' legendärem Filzanzug, in den die nackten Kaiser sich hüllen, während sie mit ihren Festreden den Schrottvernissagen berühmter Künstler staatlichen Glanz verleihen.
Möglich, daß Eifersucht aus mir spricht, denn zweifellos stehen wir besonders intelligenten Spaßmachern gegenüber, denen es gelang, aus einer billigen Clownerie eine neue Religion zu machen. Sich selbst ernannten die Jungs zu allmächtigen Gurus, die Schönheit und Kunst in den schönen Künsten
abschafften,
ohne daß irgendeines ihrer Schafe nur einen einzigen Mucks von sich gegeben hätte.
Mein Kotau vor den Siegern aber ist weit mehr als reine Rhetorik. Schon vor zehn Jahren bekannte ich offen meine kollegialen Gefühle, »Ich hege echte Bewunderung für jene Auserwählten,
die rechtzeitig erkannten, daß ein habgieriger Mensch ebenso leicht zu manipulieren ist wie der kindliche
Besucher eines Kasperltheaters«, schrieb ich damals. »Genau betrachtet, gehen Hochstapler und Humoristen einem fast identischen Beruf nach, beide sind Künstler, die von der menschlichen Schwäche leben. Ich habe deshalb niemals daran gezweifelt, daß die Wellenreiter der heutigen Kunst, in Wahrheit meine Kollegen also, lupenreine Humoristen sind. Künstler, die innerhalb von fünf Minuten aus einem alten Familienfoto, einer defekten Nähmaschine und einigen Küchenresten ein modernes Kunstwerk entstehen lassen und dann neben ihrer >Collage< mit feierlichem Gesichtsausdruck posieren,
können nur hochkarätige Clowns sein, die auf diese Weise in aller Öffentlichkeit ihre tiefe Verachtung für ihre geistig zurückgebliebenen Mitmenschen zum Ausdruck bringen.«
Meine Meinung hat sich inzwischen nicht geändert. Vor allem, wenn ich den tiefen Ernst und die moralische Unfehlbarkeit auf den Gesichtern der diensthabenden Virtuosen von heute feststelle. Jeder einzelne scheint ein Schwergewicht in der Arena der modernen Kunst zu sein.
Lassen wir uns einfach mitreißen von dem messianischen Sendungsbewußtsein, das in den Augen jener Künstler leuchtet, wenn sie neben den unvergleichlichen Kunstwerken stehen, die sie mit eigenen Händen oder Füßen geschaffen haben.
Der demonstrative Stolz der Mega-Künstler kommt schließlich nicht von ungefähr.
Die allmächtigen Hohepriester der Kunstkritik haben ihnen die höchsten Weihen verliehen und brachten so erst die Scheinwerfer zum Strahlen und die Kassen zum Klingeln.
Nehmen wir doch den großen Helmut Federle, der die Miniatur im Format
280 x 175 schuf. Tut der Meister nicht wirklich recht daran, uns mit höchster Zufriedenheit entgegenzublicken? Da kann man sich doch nur den treffsicheren Worten der Kritik anschließen, daß »Federle von allen modischen Strömungen abgesetzt, in der Spannung zwischen kargen Formen und gefühlsbetonter Mal-
weise nach einem neuen moralischen Kunstverständnis sucht«. Auf geht's Helmut, wer suchet, der findet.
Und ist es denn ein Wunder, wenn der nicht weniger große Pierre Soulages im Schatten seiner Schöpfung von göttlicher Inspiration nur so strahlt? Schließlich ist nach offiziellen Kritiken sein Meisterwerk »eine Wiedergabe des wechselnden Lichteinfalls auf der monochromen, zum Relief gewordenen Bildfläche, welche sich gegen jede Bedeutung sperrt«. Hut ab vor der bedeutenden Sperrung.
Nun aber auf die Knie vor dem Größten der Großen. Nichts anderes gebührt dem Urheber des Jahrhundertwerkes, der sagenhaften »Brillo Boxes«, die das Universalgenie höchstpersönlich in der Nachbardrogerie erstanden hat. Ja, es ist Andy Warhol höchstpersönlich, der große amerikanische Einkäufer, den die
renommierte deutschsprachige Monatszeitschrift »Art« in seiner ganzen eindrucksvollen Autorität auf dem Titelblatt abbildet. Kein Zweifel, meine Damen und Herren, diese hervorragenden Künstler sind gottbegnadete Komödianten. Nicht zum ersten Mal verneige ich mich vor dem humoristischen Können meiner ehrenwerten Kollegen.
Es ist nämlich sonnenklar, daß Erläuterungen wie »prästabilisierte Urharmonie des Seins« - oder was sonst noch alles über jene Meisterwerke in den Hochglanzkatalogen gedruckt wird – ausschließlich humoristisch verstanden werden müssen. Andernfalls rufen sie beim verängstigten Zuschauer einen Minderwertigkeitskomplex hervor, worauf der verwirrte Betrachter lieber schweigt und sich ebenso beeindruckt zeigt wie alle anderen Einfaltspinsel auch. Erkennt man aber den unvergleichlich hohen Unterhaltungswert solcher Werke, dann kann man sie wirklich genießen.
Daher besuche ich, sooft es mir möglich ist, Ausstellungen moderner Kunst. Das dort gebotene Kabarett gehört zum Amüsantesten, was derzeit an Freizeitvergnügen geboten wird. Welcher Humorist kann schließlich mit einem Gemälde konkurrieren, das, wie etwa Yves Kleins
Meisterwerk im New Yorker »Museum of Modern Art«, lediglich aus einem Rahmen besteht? (»Die Wand hinter dem Werk bildet den dialektischen Impetus zur illuminösen Ambivalenz, deren Identität als Mythos unserer Zeit erscheint.« Dritter Preis.) Oder kann ein Satiriker etwa mit einem Ausstellungsobjekt mithalten, das aus einem alten Tennisschläger mit zerfetzten Saiten besteht? (»Aphrodite IX, Opus 23. Organisch artifizielles Zwischenwesen aus der Privatsammlung des Künstlers.« Zweiter Preis.) Am Rande sei noch erwähnt, daß der erste Preis besagter Ausstellung ex aequo an ein pechbeschmiertes Nachthemd und ein übermüdetes
Schaf ging. Die Jury konnte sich nämlich nicht einigen, welches der beiden Kunstwerke das progressivere wäre...
Ähnliches habe ich bereits vor einem Dutzend Jahren geschrieben, aber seit damals ist viel passiert. Die zeitgenössischen Künstler haben große Fortschritte gemacht und ihre Fähigkeit zum Absurden perfektioniert.
Die Frechheit dieser raffinierten Spaßmacher, die inzwischen weltweite Berühmtheit erlangten, hat ungehindert sämtliche Grenzen überschritten. Zum Glück hat die menschliche Dummheit mitgehalten und kennt auch keine Grenzen mehr, so daß ein gesundes Gleichgewicht entstanden ist.
Einer aus der langen Liste dieser kostspieligen Witze des Jahrhunderts ist zum Beispiel die unsterbliche Schöpfung des berühmten amerikanischen Künstlers Bernhard Höke, der an der Ausstellung »Exponat 38, Künstler Frankfurt 35« teilnahm. Sein Beitrag, das Bild »Die Zwischenräume zwischen den Bildern«, erntete breiteste Zustimmung.
Hat da jemand gelacht? Ich habe nichts gehört. Sicherlich, Kunst ist Kunst ist Kunst, darüber ist kein Wort zu verlieren. Diese Meinung teilte auch der vielversprechende Bildhauer De Mario, der einem deutschen Museum seine
Schöpfung »Die unsichtbare Plastik« anbot. Das Museum passte letztendlich doch noch. Die Skulptur war ihm zu teuer. Das Werk ist also weiterhin auf dem Markt, falls ein potentieller Käufer zugreifen will. Es ist, was man unter Kennern ein Sammlerobjekt nennt. Natürlich spielt der Preis dabei keine unwesentliche Rolle. Da stand kürzlich in der »Zeit«, der
Sammler Wolfgang Hahn, Chefrestaurator des Kölner »Wallraf-Richartz-Museums«, habe
ein Zertifikat des amerikanischen Künstlers Lawrence Weiner erworben, das ihn autorisiert, ein quadratisches Loch in seinen Wohnzimmerteppich zu schneiden. Derartige Zertifikate werden gegenwärtig von progressiven Galerien zu Preisen bis 3000 Mark angeboten. Solange sie auf Lager sind.
Mancher Künstler übt in seinem Werk aber auch Selbstkritik, Da kreierte zum Beispiel der hochbegabte Schweizer Künstler Jean Tinguely das »Kinetische Objekt Das Sich Selbst Zerstört«. Es war mir leider nicht vergönnt, die Maschine zu sehen, bevor sie sich umbrachte. Ich kann mir jedoch gut vorstellen, schließlich habe auch ich ein wenig Phantasie, wie sich dieses künstlerische Happening abspielt: Der Museumsbesucher drückt auf den
Knopf, das Objekt bekommt einen Hustenanfall, spuckt seine eigenen Schraubenmuttern aus, die Kontrollämpchen bersten, die Pleuelstangen zer-
brechen, rasselnd zerfällt das Kunstwerk in seine vielen Bestandteile, ein Schrotthaufen bleibt übrig, reif für den Abtransport oder für die nächste
Biennale, vielleicht mit dem treffenden Titel »Sonnenuntergang im Schatten. Op. 208 Turbo«.
Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, daß ich mit meinem kühnen Urteil nicht mehr allein auf weiter Flur bin, daß sich langsam herumspricht, Ausstellungen zeitgenössischer Künstler gediehen immer mehr zu hoch subventionierten Irrenanstalten. Unzählige Briefe, die mich erreichen, bestätigen diesen Verdacht. Wie die Karte eines Ehepaares aus Währing in Wien, die mir ihren unvergesslichen Eindruck vom Besuch des »Museums des XX. Jahrhunderts« beim Wiener Südbahnhof schildern: »Es war großartig! Ein Stück Tapete, auf dem rote Farbstreifen von oben nach unten liefen. Dann eine Leinwand, auf der ein paar Punkte zu sehen waren. Ein Bild bestand aus ein paar Strichen. In einem kleinen hängenden Kästchen mit Glasvorderwand aber waren Stücke von alten, schmutzigen Lederriemen, jeder mit einer Schnalle, untereinander angebracht. Und schließlich noch vertrocknetes Moos hinter Glas. Wir verließen fluchtartig das Haus.«
Heinrich Brunner aus Chur macht einen praktischen Vorschlag: »Man gibt dem Lappen, mit dem der Maler seine Pinsel zu reinigen pflegt, einen Rahmen und den Titel >Phantasie XXII.<, und schon ist das schönste Kunstwerk fertig.«
Leider ist die Idee längst in die Tat umgesetzt.
Auf der Biennale in Venedig erntete der »Sublimierte Geist unserer Epoche«, ein minutiös durchdachtes Kunstwerk des Malers Alberto Burri, der zwei Jutesäcke in der Größe von jeweils 3x2 Metern an die Wand hängte, lebhaften Beifall. Die international renommierte Ausstellung in der Lagunenstadt entwickelt sich von Jahr zu Jahr mehr zu einem Wettbewerb monumentalen Wahnsinns. Die japanische Virtuosin Yayoi Kusama zum Beispiel streute »konzeptuale und massive Punkte« auf die Wände, den Fußboden und die Decke der riesigen Ausstellungshalle, während sich der französische Künstler Jean-Pierre Raynaud mit 13000 (!) Totenkopf-Fliesen um den begehrten Biennale-Preis bewarb. Seinem Friedhof wurde jedoch nur eine »Ehrenvolle Erwähnung« zuteil. Der Italiener Olivero Toscani wurde nicht einmal hiermit belohnt, obwohl er die Wände mit nicht weniger als 148 Photographien von Genitalien »in
situationsadäquatem Realismus« bedeckte.
Vor zwei Jahren zog Deutschland in den edlen Wettstreit um den überdimensionalen Unsinn mit einer riesigen Halle, deren Fußboden man in Splitter zerschlagen hatte. Aber auch die modernen Künstler meines heiligen Landes wollten nicht länger zurückstehen und stellten eindrucksvolle neue Rekorde auf. 1994 sandte man aus einem Kibbuz ein ganzes Treibhaus mit Pflanzeninhalt zur Biennale, während in diesem Jahr im Namen Israels eine vollständige öffentliche Bibliothek in die Boboli-Gärten Venedigs verbracht wurde. Mein Beitrag zum Thema ist: nächstes Jahr Jerusalem zu verschicken. .....................