Traumata heimkehrender Soldaten auch in Deutschland:
"Hätte ich doch nur einen Arm verloren"
Schätzungsweise 20.000 deutsche Soldaten sind von Auslandseinsätzen seelisch verwundet heimgekehrt. Die meisten von ihnen leiden im Stillen
Wann endet der Krieg? In einem kleinen, etwas angejahrten Flachbau im Norden Hamburgs ist das keine politische Frage. Hier, in Abteilung VIb des Bundeswehrkrankenhauses, tragen Soldaten innere Kämpfe aus, die nicht enden wollen – auch wenn sie längst aus Afghanistan zurückgekehrt sind.
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Da sind Männer, deren Patrouille in einen Hinterhalt geriet und die Kameraden sterben sahen. Da sind Männer, die Massengräber aushoben und nach Selbstmordattentaten Leichenteile einsammelten. Und da waren die zwei Soldaten, die eine kranke Afghanin nach ärztlicher Behandlung im Bundeswehrcamp von Masar-i-Scharif in ihr Dorf zurückbrachten – wo die Frau gesteinigt wurde, weil sie sich in die Hände fremder Männer begeben hatte.
»Diese Menschen kommen nach Hause, aber sie haben ihre Welt verloren. Manchmal sind sie noch Jahre danach in ständiger Alarmbereitschaft«, sagt Karl-Heinz Biesold, 59, leitender Arzt in der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie. Seine Patienten sind jung, manche erst in den achtziger Jahren geboren – Deutschlands neue Veteranen. Sie sind hier wegen Schlaf- und Konzentrationsstörungen, aus Angst vor überfüllten Orten, weil sie ihre Familien immer wieder mit abrupten Wutanfällen verstören oder weil der Anblick einer Fleischtheke im Supermarkt bei ihnen Panikattacken auslöst.
Seit die Bundeswehr 1992 zu ihrem ersten Auslandseinsatz nach Kambodscha zog, kehren Soldaten nach Deutschland zurück, deren Seele aus dem Gleichgewicht geraten ist. Das Militär musste erst eine Sprache für diese Fälle finden, die heute »Posttraumatisches Belastungssyndrom« genannt werden, PTBS. »Die Zahl der seelisch kranken Heimkehrer ist mittlerweile höher als die der körperlich verletzten«, sagt der Arzt Biesold. Mehr als 250.000-mal waren Bundeswehrsoldaten inzwischen im Auslandseinsatz, bei 1200 diagnostizierte man an den Bundeswehrkrankenhäusern in Hamburg, Berlin, Koblenz und Ulm PTBS.
Biesold sagt, dass die Dunkelziffer weitaus höher liege als bei den bekannten knapp 0,5 Prozent aller an Einsätzen beteiligten Soldaten. »Wir wissen nur von denen, die sich bei uns melden.« Aus dem Vietnamkrieg kamen 30 Prozent der US-Soldaten traumatisiert zurück, aus dem letzten Irakkrieg 17 Prozent. Bei sogenannten Friedensmissionen wie jenen der Deutschen liege die Quote zwischen fünf und acht Prozent, sagt Biesold. Das wären an die 20.000 Menschen.
Tatsächlich ist die Zahl der bekannt gewordenen Fälle zuletzt gestiegen. 2006 zählte die Bundeswehr 55 psychisch erkrankte Afghanistan-Rückkehrer, 2007 waren es 130, ein Jahr später 226. Im ersten Halbjahr 2009 wurde schon 170-mal PTBS diagnostiziert, ein Anstieg von nochmals 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Biesold schätzt, »dass die Zahlen weiter steigen werden«. Nicht nur, weil die Truppe in Afghanistan von 3500 auf derzeit 4220 Soldaten ausgebaut wurde, sondern auch, weil die Bundeswehr im Norden des Landes mittlerweile in ähnlich heftige Gefechte verwickelt ist wie die Amerikaner im Süden. Biesold behandelt inzwischen nicht mehr nur Opfer von Gewalt, sondern auch Täter: Soldaten, die nicht damit zurechtkommen, einen Feind erschossen zu haben. Er spricht von »Scham und Schuldgefühlen« seiner Patienten, denen es nicht gelinge, Erinnerungen an Afghanistan und Alltag in Deutschland zu trennen: Plötzlich brüllen einst ruhige Väter ihre Kinder zusammen, weil sie deren Lärm nicht mehr ertragen. Weil am Arbeitsplatz ein falsches Wort fällt, prügeln Rückkehrer auf Kollegen ein. Ehen zerbrechen. Es gibt Selbstmorde. Ein Drittel der PTBS-Patienten ist auch nach monatelanger Therapie nicht mehr »verwendungsfähig«, so der Bundeswehrjargon. Amerikanischen Studien zufolge ist jeder vierte Obdachlose in den USA Vietnamkriegsveteran.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, sagte kürzlich, die deutschen Soldaten dürften den Einsatz in Afghanistan nicht mit einem »Rundumwohlfühlangebot mit Erfolgserlebnis« verwechseln, er warf ihnen »Jammerei« vor*. Der Bundeswehrverband, so etwas wie die Gewerkschaft der Soldaten, hielt dem entgegen, dass es für die 4220 Männer und Frauen in Afghanistan nur einen einzigen Psychiater und zwei Truppenpsychologen gibt.
Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, wird innerhalb des deutschen Militärs um das richtige Maß von Verständnis und Wertschätzung gerungen. Ein Anwalt, der traumatisierte Soldaten in Verfahren gegen die Bundeswehr vertritt, sagt, es sei »manchmal bar jeder Realität«, was Heimkehrer erlebten, die einen Antrag auf Wehrdienstbeschädigung stellen: Die Beweislast liegt bei den Soldaten, die Verfahren dauern Jahre, Gutachten haben Gegengutachten zur Folge. »Da werden plötzlich frühkindliche Traumata diagnostiziert, familiäre Umstände – irgendetwas, das nichts mit dem Einsatz zu tun hat.« Bekomme der Soldat dennoch recht, beginne ein ebenso langes Feilschen um die Höhe der Beschädigtenrente – obwohl die, je nach Schädigungsgrad, nur zwischen 123 und 646 Euro im Monat liegt. Höhnisch habe es für viele Soldaten geklungen, als der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung sich weigerte, den Afghanistan-Einsatz als »Krieg« zu bezeichnen. Der Bundeswehrverband nennt für diese Wortvermeidungsstrategie zwei Gründe: Erstens wolle die Politik die Bevölkerung nicht noch mehr beunruhigen. Zweitens schließen die meisten privaten Lebensversicherungen der Soldaten Zahlungen bei »aktivem Kriegsrisiko« aus – und Bundeswehr wie Verteidigungsministerium sähen sich womöglich noch mehr Ansprüchen als jetzt ausgesetzt.
Oberstarzt Karl-Heinz Biesold im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg steht an dieser Heimatfront genau zwischen den Parteien. Einerseits, sagt er, reiche die psychologische Betreuung der Truppe in Afghanistan aus, denn inzwischen sei erwiesen, dass zu frühe, zu forsche Therapieversuche spätere Traumata eher begünstigten. Andererseits, findet Biesold, hätten die Soldaten nach ihrer Heimkehr mehr Aufmerksamkeit verdient, von der gesamten Gesellschaft. »Diese jungen Männer leisten etwas für ihr Land. Sie sind alle in einem parlamentarischen Auftrag unterwegs. Das ist Fakt, egal wie man persönlich dazu steht.« 250.000 Einsätze, sagt Biesold, seien 250.000 Erlebnisse, häufig Grenzerfahrungen, für die sich die Deutschen erstaunlicherweise wenig interessierten. Das treffe gerade seine Patienten, denen ihre Versehrtheit nicht anzusehen sei. »Ich habe hier oft Männer sitzen, die mir sagen: Hätte ich doch nur einen Arm verloren.«
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*der sollte mal selber in dem Guerillakrieg in Afg. eingesetzt werden, dann wuerde er evtl. nicht so daherschwafeln.