ILSE KOCH, DIE »MEISTGEHASSTE FRAU DER WELT«
Ein Glücksfall für die Forschung ist, daß ein amerikanischer Professor der Geschichte über Ilse Koch eine Dokumentation von einer Dichte vorgelegt hat, wie wir sie nicht einmal über alle führenden Persönlichkeiten des Dritten Reiches besitzen,
5.1 Am Anfang war der Lampenschirm
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Das Konzentrationslager Buchenwald lag bis zum Fall der Mauer im Ostblock. Erobert wurde es aber nicht von den russischen Truppen, sondern von den Amerikanern, die damals weit nach Thüringen hinein vorgestoßen waren. Am 11. April 1945 ziehen dem General Patton unterstellte amerikanische Truppen in Buchenwald ein.
Kurz nach der Besetzung des Lagers kommt es dort zu dem berühmten Auftritt der hinter den Fronttruppen nachrückenden Propaganda-Einheiten: sie präsentieren den ersten angeblich aus Menschenhaut verfertigten und angeblich aus dem Haushalt Koch stammenden Gegenstand, einen Lampenschirm.
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So entsteht noch vor Kriegsende (und ohne daß Ilse Koch davon erfährt) ein Mythos, der auf lange Jahre hinaus auf der ganzen Welt die Gemüter bewegen wird. Die glatte Haut genügt übrigens nicht. Die Horror-Geschichte erweitert sich noch um die Variante, Ilse Koch habe die Ermordung von besonders auffällig tätowierten Sträflingen gefordert, um sich in den Besitz ihrer Haut zu bringen.
Was die Reporter nicht aus Buchenwald berichten, ist, daß es dort längst keinen »Haushalt Koch« mehr gibt.
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Am 30. Juni wird Ilse Koch in Ludwigsburg als potentielle Kriegsverbrecherin festgenommen und kommt in amerikanische Haft.
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5.2 Die Posse von den Foto-Alben
Die Buchenwalder »Aktion Menschenhaut« vom April 1945, mit der die Vergangenheitsbewältigung so wirksam eingeläutet wurde, war keine Improvisation, sondern eine von langer Hand vorbereitete Unternehmung. In dem in Auflösung befindlichen Deutschland der letzten Kriegstage hätte man nicht »vierzig Gegenstände aus Menschenhaut« aus dem Sack zaubern können. Es wird wohl nie gelingen, die Geschichte dieser Aktion zu rekonstruieren — Desinformations-Einheiten sind Meister in der Spurenverwischung. (Selbst der relativ offenherzige Ellic Howe beschränkt sich in seinem 4.7 erwähnten Buch, was die Fakten betrifft, auf einige harmlosere Einblicke.) Die Intellektuellen, welche die Gags der »Schwarzen Propaganda« erfinden, halten sich, wie wir erfuhren, gerne an die bildungsmäßig vertrauten, klassischen Vorbilder. Wir wissen schon aus Carlyle, welche wichtige Rolle in allen revolutionären Umwälzungen Geschichten mit Menschenhaut spielen. In Meyers Konversations-Lexikon von 1906 ist unter »Menschenhaut« zu lesen: »... Am ausgiebigsten hat die französische Revolution Gebrauch von Menschenhaut gemacht. Ein Rapport vom 20. September 1794 berichtet von einem Fabrikanten in Meudon, der die Haut Guillotinierter zu Leder verarbeitete, und der Nationalkonvent unterstützte diese Industrie mit 45000 Franken. Der Citoyen Egalite (der zur Revolution übergelaufene Prinz Orleans) soll Hosen nur noch aus solchem Leder getragen haben. Nach Hyrti (>Anatomie<) besaß Granier de Cassagnac ein in Menschenhaut gebundenes Exemplar der Konstitution von 1793.«
Bei Ilse Koch wird man in allen Untersuchungen weit weniger fündig. Was aus dem Komplex der Menschenhaut-Verdächtigungen in den drei Prozessen gegen sie an »Beweisstücken« übrig bleibt, hat mit der Beklagten überhaupt nichts zu tun: es sind zwei Hautfetzen aus dem Pathologischen Labor von Buchenwald und ein Schrumpfkopf südamerikanisch-indianischen Ursprungs (164). Schon das amerikanische Gericht hatte nicht den geringsten Beweis für einen Zusammenhang von Ilse Koch mit irgendeiner Verwendung von Menschenhaut finden können. Das spätere bundesrepublikanische Gericht stellt dann noch einmal ausdrücklich fest (200), daß Frau Koch »nach Ansicht des Gerichts nicht mit dem sogenannten > Tätowierungskomplex < in Zusammenhang stehe. Tatsache sei, daß nicht bewiesen werden könne, daß in Buchenwald irgendein Häftling wegen seiner Tätowierung ermordet worden sei.« Aber solche Erklärungen in dürrem Juristendeutsch hatten natürlich nicht die gleiche Wirkung wie jene sadomasochistischen Horror-Visionen, welche das Publikum weltweit sexuell erregt hatten. Sofern die Medien diese gerichtlichen Feststellungen überhaupt veröffentlichten, kamen sie gegen das, was die Medienkonsumenten in ihren Eingeweiden bewegt hatte, nicht auf: »Mangel an Beweisen« ist bloß für Juristen ein Freispruch, für den durchschnittlichen Zeitgenossen wurde daraus im damals herrschenden Meinungsklima automatisch ein
»es wird schon etwas dran sein«. Und wer doch zweifelte, behielt das für sich, um nicht in den Geruch eines »Faschisten« zu geraten.
Während des amerikanischen Prozesses kommt es übrigens zu einer bezeichnenden Posse. Nachdem alle bisherigen »Beweise« für die Menschenhaut-Anklagen sich in Luft aufgelöst hatten, erhielt die Kampagne neuen Auftrieb durch die Behauptung, die beiden beschlagnahmten
Foto-Alben der Familie Koch seien in Menschenhaut gebunden (137). Die Alben, auf welche sich die Anklage stützt, sind jedoch während des Prozesses nicht greifbar, obwohl aus ihnen laufend Aufnahmen der Familie Koch an die großen Medien verkauft werden. Erst zwei Stunden nach der Urteilsverkündung liegen die beiden Alben auf dem Tisch der Verteidigung. Sie sind aus Kunstleder. Ilses amerikanischer Pflichtverteidiger Captain Lewis sucht mit diesem Vorfall eine Annullierung des Prozesses oder wenigstens die Begnadigung von Frau Koch zu erreichen, doch ohne Erfolg.
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1948 sagt sogar ein Vertreter der Anklagebehörde, Colonel Harbaugh aus dem Stab von General Clay (142):
»Ich sehe keinen Grund, der uns dazu berechtigt, die Angeklagte weiterhin zu inhaftieren. Es besteht kein Zweifel daran, ihr wurde der Prozeß in der Presse gemacht, und sie hatte sowohl vor wie nach den Verhandlungen darunter zu leiden, daß sie die einzige Frau im Lager war.« (Wobei allerdings Ilse Koch stets energisch bestritt, daß sie »im« Lager gelebt habe.) Smith (125, 138) wird noch deutlicher:
»Nach der herrschenden öffentlichen Meinung stand das Prozeßergebnis bereits vor der Beweisaufnahme fest... Die Macht der Propaganda und Massensuggestion kann wohl kaum besser illustriert werden als im Fall Ilse Koch.«