Zitat von
OneDownOne2Go
Bewegen wir uns jetzt wieder rückwärts in der Zeit? Die "Alleinschuld-These" war doch schon vom Tisch, nicht nur Deutschland war entschlossen, den Spannungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Gewalt ein Ende zu bereiten. Selbst britische Historiker, sicher nicht für ihre traditionelle "Deutschen-Freundlichkeit" bekannt, sind inzwischen von der Alleinschuld-These abgerückt, und nun wirfst du das wieder in die Diskussion?
1914 zog man in ganz Europa jubelnd in den Krieg, von London bis Moskau, es hatte niemand eine auch nur im Ansatz zutreffende Vorstellung, welche Veränderungen der technische Fortschritt der letzten 40 Jahre mit sich bringen würde. Diese Ahnungslosigkeit begann beim kleinen Mann auf der Straße und endete in den höchsten Stäben und Kommandostellen. Es hatte schlicht noch niemand einen "industrialisierten" Krieg geführt, wie hätte man das also wissen sollen? Stellungskrieg, Materialschlachten, Abnutzungskämpfe, das waren da noch Fremdworte, statt dessen rechnete man auf allen Seiten mit einem schnellen, im Vergleich "leicht" erfochtenen Sieg, der - und das war eine allseitige Überlegung, nicht nur eine Deutsche - noch leichter werden würde, je früher man losschlagen könnte. Deswegen hatte keine der Parteien im Vorfeld ein ernsthaftes Interesse, den Ausbruch dieses Krieges zu verhindern.
Außerdem verkennst du das Wesen des deutschen Generalstabes, der - in preußischer Tradition - strikt unpolitisch war und sich ganz auf das "Kriegshandwerk" beschränkte, während es die Aufgabe der Politik war, über Krieg und Frieden zu entscheiden, das änderte sich erst im Lauf des Krieges, als der Generalstab in Deutschland ein sich immer mehr ausweitendes "Machtvakuum" ausfüllte, dass der sich immer mehr zurückziehenden Kaiser hinterließ. Unter der Prämisse, dass ein rascher Kriegsbeginn den Kriegsverlauf günstig beeinflussen würde, war es also vollkommen normal vom Generalstab, auf genau diesen raschen Kriegsausbruch zu drängen, die Entscheidung lag aber nach wie vor nicht beim Generalstab, sie lag (im deutschen Reich) beim Kaiser. Das dieser im diesem Fall ein Operettensoldat war, der Entscheidungen ohne jede tiefere Sachkenntnis traf, steht auf einem anderen Blatt, die Schuld an den charakterlichen Defiziten Wilhelm II's trägt jedenfalls nicht der deutsche Generalstab.