Zitat von
Skald
Daß diese 90% der Preisträger daran glauben, mag wohl damit zusammenhängen, daß viele der Ernannten sich des christlichen Glaubens zuzählen, damit wahrscheinlich aus der westlichen Hemisphäre stammen, wo eine derartige Auffassung des Göttlichen vorherrschend ist. Ich persönlich glaube nicht an einen "unbewegten Beweger" (Aristoteles). Ich schließe mich der Heideggerschen Analyse an, wonach das Universum und die Welt nicht aus dem Nichts hervorgegangen sein können. Das Sein speist sich nicht aus dem Nicht-Sein. Alles ist Werden, alles ist in ununterbrochener Entwicklung begriffen. Somit liegt mir der indogermanische Schöpfungsmythos einfach näher, wie er in der nordischen Mythologie nachwirkt.
An den Anfang des des gegenwärtigen Weltzyklus stellt die indogermanische Weltentstehungslehre den kosmischen Menschen. Der Rigveda verleiht ihm, im indischen Bereich, den Namen Purusa; er heißt Ymir in der Edda. Ymir verköpert das Ur-Eine, von ihm geht die erste Weltordnung aus. Seine Geburt ergibt sich aus dem Zusammenströmen von Eis und Feuer. Vor Ymir war nur ein gähnender Abgrund (Ginnungagpap), der seit eh und je bestand, im Gegensatz zu dem in der Genesis (1,2) angedeuteten "Abgrund", der bereits das Werk Jahwes ist. Und während Jahwe der christlichen Lehre nach, aus dem Nichts schuf, hat Ymir die Welt hervorgebracht, indem er sich selbst auflöste.
Bei nahezu allen europäischen Völkern des Altertums entstammen Götter und Menschen demselben Ursprung. Es gibt keinen Gegensatz zwischen "Himmel und Erde", zwischen einem geschaffenen und einem unerschaffenen Wesen, sondern vielmehr ständig Umwandlung, Wesensgleichheit von Wesen und Dingen, von Himmel und Erde, von Menschen und Göttern. Eine Perspektive die im Hochmittelalter auf kulturell angepasster Weise durch Meister Eckhart im europäischen und deutschen Denken Wiederkehr findet. Aber eben dieser Geistestitan, welcher predigte, daß Gott in der Welt und der Mensch durch Gott wirke, ja wir ihm nichtmal einen Platz in unserer Seele lassen sollen, weil wir ihn sonst veräußern, und nicht als in uns wirkend erkennen, ist aller Wahrscheinlichkeit nach von der katholischen Kirche der Ketzerei bezichtigt und ermordet worden.
Die christliche Theologie hat das Göttliche von der Welt und den Menschen getrennt, indem sie einen radikal transzendenten Gott schuf, und auf diese Art einen - bis heute andauernden - unheilvollen Dualismus in der Welt begründete. Eine Sichtweise, die, nebenbei bemerkt, dem europäischen Menschen schon immer befremdlich war und immer befremdlich sein wird. Kosmos und Welt, das Göttliche und der Mensch, Gut und Böse, Licht und Dunkelheit, all das sind nur zwei Seiten derselben Medaille.
Das Christentum ist an dieser nihilistischen Glaubenslehre nicht ganz unschuldig. Es hat sich als befremdlich erwiesen, und Europa lehnte es zu allen Epochen, durch die Werke seiner Geistesheroen, strikt ab. Was in den Worten eines Eriugena, Giordano Bruno, Eckhart, Jakob Böhme, Nietzsche, Heidegger, Fichte, Schelling, Hegel, Schopenhauer, Hölderlin, Goethe, und viele mehr hindurchleutete, war das im kollektiven Unbewussten schlummernde europäische Glaubensbekenntnis, in dem Gott und die Welt nicht getrennt voneinander gedacht werden können. Wenn Nietzsche sagte: "Gott ist tot", so meinte er den aus der Welt hinweggedachten christlichen Gott.