Die Welt / 02.10.2004 / POLITIK
DDR "Unsere Republik geht Pleite"
Jetzt aufgearbeitete Stasi-Akten zeigen die obskuren Pläne, mit denen die DDR Anfang der 80er Jahre den drohenden Staatsbankrott abzuwenden versuchte.
Eine Idee: Gegen Übernahme von Auslandsschulden wird nahezu die komplette DDR-Wirtschaft an die an die Sowjetunion verkauft.Im Juni 1983 war der Devisenbeschaffer noch im Amt, und er übermittelte dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß eine dramatische Warnung Erich Honeckers: dass die "Schotten dichtgemacht" würden, wenn der Handel mit der DDR "eingeschränkt oder nicht durchgeführt" werde.
In diesem Fall werde die DDR ihre "Aufgaben mit Hilfe des RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) lösen". Es sei denn, Strauß helfe der DDR, ihre
Zahlungsbilanzkrise zu überwinden. Dann wäre Honecker "der Weg nach Westen" doch lieber. Am 29. Juni 1983 gab die Bundesregierung bekannt, sie werde die Bürgschaft für einen Kredit über
eine Milliarde Mark an die DDR übernehmen.
War das der Preis dafür, dass der Osten nicht ganz und gar abgeschottet wurde? Hatte Schalck-Golodkowski nur geblufft? Strauß jedenfalls nahm die Sache ernst. Und das zu Recht. Akten des
Ministeriums für Staatssicherheit, im Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung jetzt aufgearbeitet, zeigen:
Es gab tatsächlich Pläne, die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen einzufrieren.
Diese Pläne kamen aus der
Hauptabteilung XVIII der Staatssicherheit, zuständig für
Volkswirtschaft. Dort hatte man ein Geheimpapier verfasst, es trägt das Datum
25. Januar 1982 und enthält den Vorschlag,
jeglichen Handel mit dem Westen weitestgehend abzubrechen. Der Klassenfeind im Westen wurde bis dato -
zu unrentablen Preisen, aber eben gegen Devisen - mit Produkten aus dem sozialistischen Osten versorgt.
...
Die
Wirtschaftspolitik der
SED, heißt es in dem Stasi-Geheimpapier, habe
"zu einer Gefährdung der inneren Stabilität der DDR" geführt. Die Krise war gravierend. Die
Sowjetunion sollte übernehmen, und zwar
"Verbindlichkeiten der DDR bei kapitalistischen Banken in Höhe von ca. 20 Mrd." Valutamark (VM, ein Dollar wurde mit 2,40 VM angesetzt). So wollte die DDR ihre Verbindlichkeiten gegenüber dem so genannten Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW) auf maximal
zwölf Mrd. VM reduzieren.
"Der zur Lösung dieser Aufgabe erforderliche Exportüberschuss im NSW wird für Warenlieferungen in die UdSSR eingesetzt", heißt es in dem Papier weiter, und:
"Struktur und Umfang der zu liefernden Waren sollten es der UdSSR ermöglichen, in einem hohen Maße selbst NSW-Importe abzulösen".
Das bedeutete:
Die Sowjetunion übernimmt die gewaltigen Auslandschulden der DDR, und die gibt dafür ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit weitgehend auf und produziert künftig nahezu ausschließlich für die UdSSR.
...
Am
11. Oktober 1989 verwies die
Stasi-Hauptabteilung XVIII darauf, dass der für
1990 geplante Anstieg der
Westschulden auf
49,2 Mrd. VM zu einer
Schuldendienstrate von
150 Prozent führe. Obwohl sich die Stasi nach ihrem missglückten Vorschlag mit weiteren Ideen
zurückgehalten hatte, fordert sie nun erneut
harte Einschnitte. Und jetzt, in den Tagen unmittelbar vor Honeckers Sturz, handelten die Wirtschaftsplaner.
Doch
anders als
1982 von der Stasi
vorgeschlagen, warfen sie den
Notanker in Richtung
Westen aus. Planungschef Schürer entwarf ein
Geheimkonzept für eine Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik. Im Gegenzug für ein wirtschaftliches Entgegenkommen - inklusive Krediten in Höhe von
acht bis
zehn Mrd. Mark - sollte Bonn versprochen werden, "dass die Mauer noch vor Beginn des Jahres 2000 überflüssig geworden ist".
Am
27. Oktober trafen sich die
Wirtschaftsfachleute der
Stasi zu einer Lagebesprechung. Ganze Industriezweige, stellte die Runde fest, seien verrottet. Um sie zu modernisieren, erläuterte Stasi-General Kleine, bestehe ein dringender Investitionsbedarf von
500 Mrd. Mark - was
zwei Jahres-Nationaleinkommen entsprach. Kleine damals: "Jeder von uns hat so viel ökonomische Kenntnisse, um einschätzen zu können, dass die Überwindung dieses Zustandes nicht in einem, nicht in zwei und auch nicht in fünf Jahren erfolgen kann, sondern einen langen Zeitraum einnehmen wird."
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