Zitat von
OneDownOne2Go
Der Punkt ist ein ganz anderer. Von einem Millionär im Atombunker (kommt mir noch immer besser vor als Obdachlos im feinen Davos bei Kaiserwetter...) kann ja nun keine Rede sein, und man muss die Maßstäbe schon so grotesk verzerren, wenn man überhaupt so argumentieren will.
Wohlstand ist über die Möglichkeit zur Partizipation definiert, und die ist nun mal primär von den eigenen materiellen Verhältnissen abhängig. Noch ist das Angebot an "käuflicher Lebensqualität" deutlich größer als die Kaufkraft der meisten Lebenden, und es ist nicht absehbar, dass dieser Zustand sich ändern wird. Auch Klima- und Überbevölkerungs-Hysteriker müssen bei Licht betrachtet zugeben, dass ihnen weder das Wasser noch die Migrationsflut aktuell bis zur Oberkante der Unterlippe steht. Den Folgen bestimmter Entwicklungen (die man durchaus kritisch betrachten kann und sollte) kann man sich jetzt und auf absehbare Zukunft einfach entziehen, man muss sich das "nur" leisten können. Ich gestehe gerne zu, dass man diesen Fakt leicht übersehen kann, steckt man im Alltagsgeschäft in irgend einem bunzeldeutschen Ballungsraum, umgeben von landesfremden Parasiten und hysterischen Zukunftsgeängstigten, aber die Irrationalität dieser Ängste wird einem spätestens dann klar, wenn man sich auch nur eine Autostunde von diesen Zentren und ihren Problemen entfernt.
Vom Eintritt einer dystopischen Zukunft sind wir noch immer ebenso weit entfernt, wie wir es vor zwanzig, dreißig oder fünfzig Jahren waren. Kauf dir ein schönes Wohnhaus irgendwo in Mecklenburg, in Alleinlage, umgeben von Natur, angeschlossen an brandneue Infrastruktur, und schon kannst du Leben wie ein Gutsherr der zwanziger Jahre im alten deutschen Osten. Du musst es, da ist das entscheidende Kriterium wieder, nur bezahlen können. Und das können heute anteilig unendlich viel mehr Menschen als vor hundert Jahren, unsere Groß- und Urgroßeltern haben nicht nur 40 Stunden pro Woche gearbeitet (oder noch weniger) und konnten zwei, drei Mal im Jahr in Urlaub fahren oder fliegen, nur hat der Mensch sehr rasch vergessen, wie schlecht es ihm vorgestern noch ging - und klagt fröhlich weiter, wie schlecht es ihm heute doch geht. Wir jammern zwar nicht gänzlich ohne Grund, aber wir jammern auf sehr hohem Niveau, das sollte man nicht vergessen.
Der Knackpunkt ist, es konnten sich niemals alle ein wirklich gutes Leben leisten, nicht mal eine Mehrheit konnte das. Heute können es unendlich viel mehr Leute, als das vor fünfzig oder hundert Jahren der Fall war, aber das wird niemals eine Option für alle sein. Das ist einfach ein Ding der Unmöglichkeit, außer vielleicht in der Phantasie einiger Sozialutopisten die noch immer meinen, Star Trek wäre tatsächlich eine denkbare Zukunft. Uns geht es aber abseits unserer Alltagssorgen im Grunde doch enorm gut. Nimm mich als Beispiel, ich habe ein Dach über den Kopf, bin krankenversichert, ich habe jederzeit ein Auto vor der Tür und kann fahren, wohin immer ich will. Ich kann mir aussuchen, welche Kleidung ich heute tragen möchte, was und wann ich essen möchte, ich bin von Technik und Komfort umgeben, ich kann hier sitzen und einen längere Beitrag in einem Internetforum verfassen, und ich muss mir deswegen keinerlei Sorgen machen, morgen nicht mehr sicher und warm wohnen und satt essen zu können. Ich kann mir auch Luxus leisten, ganz alltäglichen Luxus, den viele nicht mehr als solchen empfinden. Ich habe heute Morgen unter einer Monsundusche gestanden, ich habe mein Handtuch vorgewärmt von einem entsprechenden Heizkörper nehmen können, überhaupt, ich musste nicht mit dem ersten Hahnenschrei aus den Federn, in meinem Schlafzimmer war es nicht kalt, ich musste keine Eisschicht auf der Waschschüssel knacken, bevor ich mit eine Hand voll Wasser ins Gesicht werfen konnte, und ich muss nicht schuften bis mir die Knochen knacken, um heute Abend eine bescheidene Mahlzeit einnehmen und müde in mein muffiges Bett kriechen zu können, zerschlagen und kaputt. Noch mein Großvater hatte es lange nicht so gut, und selbst ihm ging es schon besser als seinem Großvater, spätestens der würde mein Leben heute ungläubig bestaunen und gar nicht fassen können, wie gut ich es habe.
Das ist die Realität, nicht das was unsere Ängste uns für die nahe Zukunft befürchten lassen. Es geht uns unendlich gut, wir sind satt und warm und sicher unter, wir leben in einem Überfluss, den sich vor drei Generationen niemand hätte vorstellen können, selbst ein "armer" Hartzer lebt noch immer besser als die Masse der Menschen in den 1930er Jahren, nur sieht es das natürlich nicht, er sieht nur, was er sich alles nicht leisten kann. Okay, ich bin auch manchmal ein Neidhammel, ich könnte das Zehnfache von dem Ausgeben was ich mir leisten kann, und ich hätte noch immer unerfüllte Wünsche. Aber woran liegt das? An der unerträglichen Armut in der ich lebe, oder an meinen wilden Wünschen? Wir haben das zufriedensein verlernt, und das ist tragisch.