„Warum ich die SPD wähle“
Bei der Beantwortung der Frage, warum ich die SPD wähle, verzichte ich im Nachfolgenden auf die Aufzählung der einzelnen Programmpunkte der SPD. Diese finden die Leser wohl auch selbst. Viel interessanter ist jedoch die Frage, warum diese so wichtigen Vorhaben der Sozialdemokraten ausgerechnet ganz im Sinne von uns – von jüdischen Deutschen ist.[…]
Ja, ich wähle diesen Sonntag die SPD. Und ich tue das aus Überzeugung und ohne Zweifel. Ich tue das nicht nur als einfacher Bürger – ich wähle die 150jährige Partei auch bewusst als jüdischer Bürger. Denn schon seit ihren frühen Zeiten verkörpert diese Partei den Geist einer Gesellschaft, der in der jüdischen Gemeinschaft zuhause ist. Es ist eine Partei, deren Werte auf dem Streben nach Gleichgewicht zwischen Rücksicht, gesellschaftlicher Solidarität, Gerechtigkeit und individueller Freiheit gründen. Wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil die großen Denker in den Anfängen der Sozialdemokratie jüdisch waren und zu deren Lebzeiten diese Werte Mangelware waren.[…]
Wir leben in einer Demokratie. Ja, wir leben im Wohlstand. Allerdings ist dieses weiche Kissen trügerisch. Denn wir neigen dazu, lediglich die chronologischen Zusammenhänge zu vergleichen. Dabei übersehen wir, dass unsere Gesellschaft, unser Land, das im internationalen Vergleich heute so stabil erscheint, einer Tendenz erliegt, die uns in ähnliche Verhältnisse wie vor mehr als 100 Jahren bewegen kann. Das Versprechen „Aufstieg durch Bildung“ war aus jüdisch-sozialdemokratischer Sicht im letzten Jahrhundert die zentrale Forderung. Allerdings klingt dieses Versprechen heute für viele angesichts mangelnder Aufstiegschancen wie blanker Hohn. Es wurde durch den CDU/FDP-Slogan „Leistung muss sich wieder lohnen“ abgelöst, der zynischerweise nichts als die Besitzstandswahrung der privilegierten Schichten im Blick hat.[…]
Es wäre zwar fatal zu leugnen, dass im linken Spektrum Israelkritik zu einem geeigneten Deckmantel von Antisemiten geworden ist. Es wäre aber genauso fatal, daraus einen allgemeinen Schluss zu ziehen. Die rot-grüne Regierung z.B. hat in ihrer Amtszeit nie an der sog. „besonderen Beziehung“ zum Staat Israel gerüttelt. Auch wenn dies in Wahlkampfzeiten unpopulär ist, so muss man hervorheben, dass es nicht nur die Merkel-Regierung war, die Israel auch militärisch unterstützte – auch unter Rot-Grün sicherte Deutschland Israels Existenz durch Verkauf von U-Booten.[…]
Genauso wie in der anderen Volkspartei tummeln sich jedoch auch in der SPD einzelne Gestalten, die sich offensichtlich bei der Parteiwahl geirrt haben – es sind nicht nur Antisemiten; auch andere Ressentiments werden durch sie bedient. Doch dies ist umso mehr ein Grund, die Werte der Sozialdemokratie zu stärken und sichtbar zu machen, denn diese sind nicht mit Verallgemeinerung und Vorurteilen vereinbar. Von manchen sichtbaren Linksantisemiten und Migrantenhassern sollten wir die Grundpfeiler der Sozialdemokratie nicht zerstören lassen. Die Sozialdemokratie ist das wahre politische Zuhause für Juden. Von hier aus setzen wir uns gemeinsam mit anderen Sozialdemokraten nicht nur gegen Antisemitismus und Rassismus ein, sondern auch für Gerechtigkeit und Freiheit in Deutschland und in der Welt – und ja, auch für den Staat Israel ein. Die Juden in Deutschland sollten sich dieser Nähe zu dieser Partei bewusst werden – über den 22. September 2013 hinaus.[…]
Grigori Lagodinsky ist Bundesvorstand des Arbeitskreises Jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten