Zitat von
Cruithne
Bei der Aussage, dass die SVO-Struktur (Subjekt-Verb-Objekt) die Endstufe in der Sprachentwicklung sei und dass sich Sprachen z.B. von einer SOV-Struktur (Subjekt-Objekt-Verb) zu einer SVO-Struktur entwickeln können, aber nicht umgekehrt, handelt es sich nicht um einen Fakt, sondern um eine Theorie, die auf die Arbeiten des amerikanischen Linguisten Joseph Greenberg zurückgeht. Greenberg postulierte ursprünglich 1963 in seiner Arbeit "Some Universals of Grammar with Particular Reference to the Order of Meaningful Elements" eine Reihe von universellen sprachlichen Eigenschaften, die er aus der Analyse einer großen Anzahl von Sprachen ableitete. Eines dieser postulierten universellen Merkmale ist die Generalisierung, dass SVO die am häufigsten vorkommende Wortstellung in Sprachen ist. Er argumentierte, dass SOV-Sprachen oft einen Weg zur SVO-Struktur einschlagen, während der umgekehrte Weg seltener ist. Die relative Häufigkeit von Grundwortstellungen (SVO, SOV, VSO, VOS, OSV, OVS) lässt sich auch der Datenbank wals entnehmen. Hier sieht man, dass SVO und SOV die mit Abstand häufigsten Grundwortstellungen in den Sprachen der Welt sind.
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Die Tatsache, dass das so ist und dass es z.B. sehr wenige Sprachen mit OVS oder OSV gibt, ist ein weiteres Indiz für die Existenz einer universellen Grammatik. Die Annahme einer Universalgrammatik steht in direktem Zusammenhang mit der Idee, dass es bestimmte universelle Eigenschaften oder Prinzipien gibt, die allen menschlichen Sprachen gemeinsam sind. Diese Annahme geht auf den Linguisten Noam Chomsky zurück, der argumentiert hat, dass Sprachfähigkeit angeboren ist und dass alle Menschen eine angeborene Fähigkeit zur Sprachproduktion und -verarbeitung besitzen. Die Universalgrammatiktheorie postuliert, dass es eine Art "Bauplan" oder "Muster" für Sprachen gibt, das in den genetischen Grundlagen des menschlichen Gehirns verankert ist. Diese Universalgrammatik legt gewisse strukturelle Einschränkungen und Prinzipien fest, die die Möglichkeiten der Sprachvariation begrenzen. Zum Beispiel umfasst die Universalgrammatik die Idee, dass Sprachen bestimmte grundlegende Satzstrukturen haben, wie die bereits erwähnte SVO-Struktur, und dass die Variationen in der Wortstellung durch Parameter innerhalb dieses Rahmens erklärt werden können.
Trotz allem ist sowohl die These, dass es eine Universalgrammatik gibt, als auch die These, dass SVO die Endstufe jeder sprachlichen Entwicklung darstellt, immer noch Gegenstand der Forschung und stark umstritten. So können wir uns beispielsweise fragen, warum, sofern SVO wirklich Teil der Universalgrammatik ist, überhaupt irgendwelche Sprachen vom SVO-Typ abweichen, wie z.B. Türkisch oder Japanisch - oder anders gesagt: Wieso entwickeln sich natürliche Sprachen so, dass sie den Regeln der angeblich angeborenen Grammatik widersprechen?