Politputze gegen Nazidreck
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Angefangen hat ihre Mission im Sommer 1986. Direkt vor der Haustür. Im bürgerlichen Berlin-Wannsee klebte an einem Laternenpfahl der Aufkleber "Freiheit für Rudolf Hess". Mensah-Schramm war auf dem Weg zur Arbeit, als sie den Sticker sah. Mit Abscheu stand sie davor, wollte das Papier abreißen - doch ihr Bus wartete bereits. Die gelernte Heilpädagogin wollte nicht zu spät zur Arbeit kommen, ließ den Sticker hängen.
Den ganzen Tag lang dachte sie an nichts anderes. "Ich habe mich geärgert, dass ich den Aufkleber nicht abgekratzt habe", erinnert sie sich. Am Abend kehrte sie zurück, das Stück Papier hing immer noch da. Sie verstand nicht, warum die vielen Leute, die tagsüber an der Haltestelle standen, es nicht entfernt hatten, "da habe ich beschlossen, nicht mehr wegzusehen".
Seither sucht die "Polit-Putze der Nation", wie sie sich selber nennt, nach "Nazidreck". Bewaffnet mit Spachtel, Nagellackentferner, Lappen und Kamera schrubbt und schabt sich die Rentnerin mehrmals pro Woche durch Berliner Viertel wie Pankow und Lichtenberg, Treptow und Rudow - aber auch durch andere deutsche Städte.
Aus ihrem freiwilligem Engagement ist im Laufe der Jahre eine Manie geworden. Wo immer sie Nazi-Parolen findet, legt sie Hand an: in Unterführungen, an Hauswänden oder auf U-Bahn-Sitzen. Was sich nicht entfernen lässt, wird übermalt, bevorzugt mit brauner Farbe. "Ich bin immer im Einsatz. Da muss man dranbleiben, nicht nur sporadisch unterwegs sein."
Über 80.000 Aufkleber und Schmierereien hat Mensah-Schramm nach eigenen Angaben in den vergangenen 23 Jahren entfernt - rechtsextreme, schwulenfeindliche, antisemitische oder rassistische Parolen. Nach diesem Tag werden es 78 Sticker mehr sein.
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"Beim Abkratzen von Parolen geht schon mal etwas kaputt. Glasscheiben bersten, Firmenlogos zerkratzen und die farbigen Flächen auf Häuserwänden gefallen auch nicht jedem", sagt sie und kann sich dabei ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen. Dass das als Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch gilt, ist ihr klar - regelmäßig wird sie auf ihren Touren von Passanten angezeigt.
Die Nazis hätten doch damit angefangen, verteidigt sich die Rentnerin dann. "Was beim Putzen kaputtgeht, kann man reparieren. Die verletzte Menschenwürde nicht." Das Argument wirkt - bisher wurden alle Verfahren und Ermittlungen gegen Mensah-Schramm wieder eingestellt.
Polit-Putze auf Lebenszeit
Auch die Auszeichnungen mit der Bundesverdienstmedaille 1994 und dem Erich-Kästner-Preis 2005 bewahren sie vor voreiligen Strafmaßnahmen. Ihre Arbeit wird vom Staat akzeptiert und geduldet, offiziell aber nicht unterstützt - das macht sie wütend.
300 Euro investiere sie pro Monat für Material und Fahrtkosten, sie spart sogar am Essen, um ihrer Lebensaufgabe nachgehen zu können.
Für ihre Wanderausstellung "Hass vernichtet" erhält sie ebenfalls keine Fördermittel. Seit Mitte der neunziger Jahre zeigt sie darin eine Auswahl an Parolen, die sie vor dem Wegputzen fotografiert hat. Dazu bietet sie antirassistische Workshops für Schüler an. Doch ohne Spenden und ihre Ersparnisse gäbe es das Projekt schon lange nicht mehr, sagt sie. "Einfach aufgeben" wolle sie aber nicht, "irgendwie klappt immer alles".
Als es an diesem Tag langsam dunkel wird und sich Mensah-Schramm auf den Heimweg macht, entdeckt sie noch einen letzten NPD-Aufkleber - dieser klebt an der Oberkante eines Vorfahrtsschilds. "Die Rechten hängen die manchmal extra so hoch, weil sie wissen, dass ich da nur schwer rankomme." Doch anstatt verärgert darüber zu sein, setzt sie wieder ihr verschmitztes Lächeln auf. "Morgen bringe ich einfach eine Verlängerung für den Schaber mit, der Sticker bleibt da nicht hängen", sagt Irmela Mensah-Schramm.
Die Jagd geht weiter.